Diane Turquety @documenta 14

Die Kuratorin Diane Turquety im Gespräch mit Nina d’Hostel über ihre Arbeit bei der documenta 14 im Rahmen des Jeunes Commissaires-Programms

Diane Turquety bei der Arbeit

Diane Turquety bei der Arbeit

Diane Turquety wirkte bei der documenta 14 an der Umsetzung des Projektes  marco14 und CIAM4 / Schiffbruch mit Zuschauer von Rainer Oldendorf mit.

Es ist schwer, sich eine Vorstellung von dieser Installation/Ausstellung im Polytechnion Athen zu machen, wenn man sie selbst nicht gesehen hat. Sie sprechen von der Präsentation einer „Reihe von Elementen zur Vorbereitung des Films ‚marco14‘“. Worum handelt es sich dabei? Waren diese Elemente der rote Faden im Film oder eine Inspirationsquelle für den Dreh und die Realisierung von „marco14“?

In dieser Installation/Ausstellung waren Fotografien, Publikationen, Möbel und Filme zu sehen, die alle mehr oder weniger mit den drei Themen des Werktitels marco14 und CIAM4 / Schiffbruch mit Zuschauer zu tun haben: frühere Werke des Künstlers, neu präsentiert, oder Reproduktionen von Dokumenten aus den Archiven der CIAM. Die Ausstellung war also eine Art Präsentation der Bausteine für den Film marco14. Der Begriff der Kontinuität ist in den Arbeiten von Rainer Oldendorf sehr präsent. Der Künstler entwickelt sein pikareskes Film-Porträt marco seit 1995; hier vorgestellt wurde die 13. Episode. Ferner wurde eine Auswahl von Briefen präsentiert, die in Vorbereitung auf den vierten Internationalen Kongress für Moderne Architektur (CIAM) verfasst wurden, der 1933 auf einer Schifffahrt von Marseille nach Athen stattgefunden hatte; ebenfalls zu sehen war der bei dieser Gelegenheit von László Moholy-Nagy gedrehte Film und einige Nachbildungen von Schildern zu der im Zusammenhang mit dem Kongress präsentierten Ausstellung, die auch im Gebäude des Polytechnion stattgefunden hatte. All diese Elemente bildeten in gewisser Weise die Kulisse für die Episode marco14, die dann zwei Monate später gedreht wurde.

Rainer Oldendorf, marco14 und CIAM4 / Schiffbruch mit Zuschauer,  Film von László Moholy-Nagy, Installationsansicht, Polytechnion, documenta 14, Athen 2017

Rainer Oldendorf, marco14 und CIAM4 / Schiffbruch mit Zuschauer, Film von László Moholy-Nagy, Installationsansicht, Polytechnion, documenta 14, Athen 2017

Die Kreuzfahrt fand Mitte Mai statt. Worum ging es bei dieser interdisziplinären Begegnung, die dem Internationalen Kongress für Moderne Architektur wieder neues Leben eingehaucht hatte? Betrachten Sie dieses Seminar als eine Hommage an Le Corbusier und an die Charta von Athen, oder als eine moderne Neuinterpretation dieses Austauschs, wurde der Film von László Moholy-Nagy über den CIAM 4 von 1933 doch von Rainer Oldendorf verbreitet und analysiert? 

Rainer Oldendorf, marco14 und CIAM4 / Schiffbruch mit Zuschauer,  Film von László Moholy-Nagy, Installationsansicht, Polytechnion, documenta 14, Athen 2017

Rainer Oldendorf, marco14 und CIAM4 / Schiffbruch mit Zuschauer, Film von László Moholy-Nagy, Installationsansicht, Polytechnion, documenta 14, Athen 2017

Die Reise bot vor allem den Rahmen für das Zusammenspiel mehrerer Situationen: ein Seminar, ein Filmdreh und die Begegnung zwischen Studierenden, Schauspieler_innen und Referent_innen, deren Rolle nicht vorbestimmt bzw. festgelegt war. Bei der ausgewählten Strecke ging es darum, in Anlehnung an den CIAM 4 bzw. an dessen Protagonisten wie Erben drei Länder und damit drei Architekturerfahrungen miteinander zu verknüpfen. Ebenso wichtig war dem Künstler dabei die Dimension Seminar und Filmdreh in seiner künstlerischen Konzeption. Es handelt sich in der Tat um eine Art Neuinterpretation des Austauschs damals bei dem Kongress, vor dem Zweiten Weltkrieg, als die Leseart von moderner Architektur, wie Le Corbusier sie in der Charta von Athen vorlegte, in den einschlägigen Kreisen noch nicht den Vorstellungen aller entsprach. Denn bei diesem Kongress gab es noch sehr unterschiedliche Trends und Interpretationen von Modernität in der Architektur, zuweilen auch gegenläufig zu Le Corbusier.

Welche Fragen und Themen wurden angesprochen?

Es gab Präsentationen zu Teilnehmern des CIAM 4 wie Marie Reidemeister und László Moholy-Nagy, zu Paul Friedrich Posenenske, dem Architekten der Kunsthochschule Kassel, zur Königlichen Saline in Arc-et-Senans oder zu dem Essay von Hans Blumenberg „Schiffbruch mit Zuschauer“. Die Vorträge beleuchteten die Hauptthemen von Oldendorfs Arbeit wie die architektonischen Aspekte – moderne, neoklassische oder landestypische Elemente – auf den einzelnen Etappen der Reise.

Können Sie ein paar Worte zur Wahl des Titels „Schiffbruch mit Zuschauer“ sagen?

Das ist der Titel eines Essays von Hans Blumenberg, das Ende der 1970er-Jahre erschienen ist und zu den Bettlektüren von Rainer Oldendorf gehört. Dieses ebenso faszinierende wie schwerfällige Essay untersucht die unterschiedlichen Verwendungen der Schiffbruch-Metaphorik, von der Antike bis ins 20. Jahrhundert. Der Text wurde in der Ausstellung/Installation in der deutschen Originalfassung, in englischer, griechischer und französischer Übersetzung präsentiert.

Polytechnion, Athen

Polytechnion, Athen

Welche Rolle haben Sie in diesem kinematografischen, pädagogischen und künstlerischen Projekt gespielt? Und welche Erfahrungen konnten Sie daraus ziehen?  

Meine Aufgabe war es, gemeinsam mit dem Team in Athen die beiden Ausstellungen im Polytechnion zu realisieren und das einwöchige Seminar mit Filmdreh zu organisieren. Das war also in erster Linie eine Produktionsarbeit, in einem sehr knappen Zeitrahmen. Es ging darum, zu antizipieren und den Aufbau der Ausstellungen bzw. den Ablauf der Schifffahrt logistisch so gut wie möglich zu planen – technische Ausstattung und Material, genauer Ablauf der Drehwoche, Reservierungen usw. Und dies in Abstimmung mit den fünf Partnerhochschulen, die in jede der Etappen eingebunden waren. Ich habe natürlich sehr eng mit Rainer Oldendorf zusammengearbeitet, war seine wichtigste Stütze vor Ort.

Rainer Oldendorf, marco14 und CIAM4 / Schiffbruch mit Zuschauer, Installationsansicht, Polytechnion, documenta 14, Athen 2017, Foto: Angelos Giotopoulos

Rainer Oldendorf, marco14 und CIAM4 / Schiffbruch mit Zuschauer, Installationsansicht, Polytechnion, documenta 14, Athen 2017, Foto: Angelos Giotopoulos

Es war eine sehr intensive und fordernde Erfahrung in einem außergewöhnlichen Arbeitskontext, in Athen, wo die documenta zum ersten Mal neben Kassel ausgerichtet wurde. Eine tolle Gelegenheit, mit Menschen ganz unterschiedlicher Herkunft zusammenzuarbeiten und -treffen und an dieser in gewisser Weise fast schon epischen Reise von Athen nach Kassel teilzunehmen, die in vieler Hinsicht sehr bereichernd war. Wir freuen uns sehr, dass das Bureau des arts plastiques / Institut français Deutschland dieses Projekt unterstützt hat.