Zehn Ausstellungstipps für 2014 von Caroline Soyez-Petithomme

Photo Caroline

Caroline Soyez-Petithomme, die als freiberufliche Kuratorin und Kunstkritikerin tätig ist, leitet La Salle de bains in Lyon.

Sie bietet uns eine reiche Auswahl von Ausstellungen, die 2014 keinesfalls zu verpassen sind, an.

Jetzt…

1. Auguste Perret, Huit Chefs-d’œuvre !/? Architectures du béton armé
Im Palais d’Iéna, dieses architektonische Schmuckstück, das von Auguste Perret konzipiert wurde, erfindet die OMA Agentur von Rem Koolhas und ihr Think Tank AMO, das Medium der Ausstellung neu und gibt der Architektur von Auguste Perret eine ganz neue Tiefe. Im Einklang mit der bedeutenden Ausstellung, die 2012 im Barbican London präsentiert wurde, haben Joseph Abram (für die wissenschaftlichen Aspekte) und die Archikturkagentur OMA AMO (für die künstlerischen Aspekte) eine sogenannte „Architekturausstellung“ konzipiert, welche die Grenze dieses Begriffs eigentlich bei weitem überschreitet und sich mit Humor von der Taxonomie von Kunstausstellungen inspirieren lässt.
Neben den klassischen Archivdokumenten und Architekturmodellen wird eine Installation mit Holzplatten ausgestellt, auf deren verschiedene Gegenstände liegen: Objekte wie zum Beispiel die berühmte Lambot Kahn, Materialien, die sich auf das Innere des Gebäudes des Mobilier national beziehen. Dabei steht ein Flügel, auf dem jeden Samstag ein Konzert gespielt wird. Um die oft zu trockenen Diskurse über Architektur aufzulockern, wird im Halbrund des Gebäudes ein neuer Film von Louise Lemoine und Ila Bêka ausgestrahlt. Er untersucht den Werdegang eines Gebäudes  der rue Franklin von Auguste Perret, das zu Denkmal, touristischem Highlight und vor allem zu einem Ort der Begegnungen wurde.

Palais d’Iena, Paris, bis zum 19. Februar 2014

2. Lisa Beck: Observatory
Nach ihrer ersten Ausstellung in Frankreich (2012 im Fort du Bruissin, Lyon) in deren Werke von den Neunzigern im Dialog mit Neueren standen, präsentiert die amerikanische Künstlerin (geb. 1958) eine neue Reihe von Werken sowie ein Diptychon und ein Triptychon von 1989 in der Galerie Samy Abraham. In ihren Polyptychen setzen sich die Motive von Rahmen zu Rahmen fort, oder entstehen als Negativform in der Leere zwischen den Gemälden. Mit der Zeit sind  diese in Mylar – einem industriellen, silbrigen, reflektierenden Material – eingefassten Bilder zum Erkenntnismerkmal Lisa Becks geworden. Sie bilden bewegende Zielscheiben ab, welche die Umgebung entweder aufsaugen oder strahlen lassen und der Ausstellung eine gespenstische, magnetische Dimension verleihen.

Galerie Samy Abraham, Paris, bis zum 15. März 2014

3. Manfred Pernice: Fiat(lux) und Ideacasa
Parallel zur bis jetzt größten Einzelausstellung von Manfred Pernice in Frankreich Fiat(lux), die das IAC Villeurbanne anbietet, wird das neue in-situ Projekt des deutschen Künstlers Ideacasa, das für den Kunstverein art3 realisiert wurde, in Valence in der Drôme präsentiert. Im IAC Villeurbanne lässt sich der Umfang seines Werkes durch mehr als 50 Stücke erblicken.
Seit den neunziger Jahren entwickelt Manfred Pernice Installationen, die aus einer Anhäufung bescheidener Werkstoffen (Beton, Ziegelsteine, Metall, etc.), gefundener Gegenstände und Texten, Zeichnungen, Fotografien sowie – seit kurzem – Archivvideos biographischer oder historischer Natur bestehen. Manfred Pernice trägt diese alltäglichen Werkstoffe zusammen, die somit jegliche Funktion verlieren. Diesen Prozess bezeichnet er als Canning (Konservenfabrikation) von Objekten und Raum.

Ideacasa: art3, Valence, bis zum 15. Februar 2014
Fiat(lux): IAC Villeurbanne, bis zum 23. Februar 2014

4. Friedrich Kunath: A plan to follow the summer all around the world
Durch erstaunliche Collagen bietet Kunaths Werk ein fruchtbarer Boden zur Begegnung zwischen unserer Zeit und dem Mittelalter, dem 18. Jahrhundert, den Hippie Jahren und dem Europa der siebziger Jahren an. Bekanntlich haben Globalisierung und neue Technologien die Welt – und selbstverständlich auch die Kunst – verändert. Nicht nur dies nährt Kunaths Horizont sondern auch seine klassische künstlerische Bildung. Er wurde z.B. durch das  Werk von Caspar David Friedrich beeinflusst, in dem der Mensch eine mystische Beziehung zur Natur pflegt. Kunath steht an der Kreuzung zwischen Hyperrealismus und Surrealismus. Mit Humor spielt er durch die  deutsche Romantik auf seine eigene Herkunft an. Als Inspiration für seine Positionen erwähnt er gerne den niederländischen Konzeptkünstler Bas Jan Ader, der seiner Meinung nach eine neue wesentliche alternative Kunst entwickelte, indem er die Verbindung zwischen Konzeptkunst und einer Emotion schuf.
Claire Le Restif (Kuratorin der Ausstellung)

CREDACIvry-sur-Seine, bis zum 23. März 2014

5. Nathaniel Mellors: The Sophisticated Neanderthal Interview
In Nathaniel Mellors neuem Film The sophisticated Neanderthal Interview, der vom Hammer Museum Los Angeles produziert wurde, sind, genau so wie in der Serie Ourhouse, die Akteure in Raum und Zeit verloren. Das Übermaß an  Informationen, Kenntnissen und Referenzen, die meistens nicht geistig verarbeitet werden können, stürzt sie in ein sprachliches und gedankliches Durcheinander. Der extrem aufrichtige, leichtgläubige, naive junge Mann Truson trifft zufällig einen Höhlenmensch und entscheidet, ihn zu filmen, um dies als Beweis seinem Vater zeigen zu können. Wie die vorgeschichtliche Venus, die er in einer Folge von Ourhouse online bestellte, stellt der Neandertaler für Truson ein neues Studienobjekt dar und betont seinen Glauben, dass Objekte wörtlich handfeste Beweise der Geschichte sind, und deshalb der einzige kulturelle Indikator sein können. Dank einer burlesken Umkehrung scheinen das magische Denken und der Archaismus viel näher an der Welt des zeitgenössischen Menschen zu sein, als an der vom Höhlenmensch.

Galerie Art Concept, Paris (in Zusammenarbeit mit der Galerie Monitor, Roma), bis zum 15. März 2014

6. The Season of the Which
Castillo/Corrales stellt eine Auswahl der Arbeiten dreier Künstlern aus, deren Werke in Frankreich noch nie präsentierten wurden: Josh Kline, Nicolas Ceccaldi und Nel Aerts.
Ceccaldis Arbeit lässt sich direkt von einem tumblr inspirieren, der sich seit 2012 der Umleitung von Buchdeckel widmet, von denen Buchstaben aus dem Titel gelöscht werden. So macht Ceccaldi den Deckel des Buches Tapei zu Eigen: Die Novelle des jungen amerikanischen Erfolgsschriftstellers Tao Lin wird in „Pain“ umbenannt und bildet sich simultan zu einer Skulptur und einem Bild um.
Wie ein virtuelles Echo des trügerischen Paradieses und der Gedanken über die  Mainstreamkultur von Tao Lins Novelle knüpfen Josh Klines rätselhafte gefilmte Gespräche, in deren die Gesichte von Whitney Houston (Forever 48) und Kurt Cobain (Forever 27) erscheinen, an. Da beide Persönlichkeiten zu Ikonen erhoben wurden, hat sich ihr Aussehen erstarrt; sie sind zu Kultobjekten der ewigen Jugend geworden. Das Gesicht beider Stars wird auf dasjenige eines Schauspielers projiziert. Auf diese Weise verformen sich die bekannten Züge mit den Ausdrücken der Schauspieler, die Bildträger der berühmten Persönlichkeiten und der Spezialeffekte werden. Um die zwei post-menschlichen Ikonen richtig zu porträtieren, wendet Josh Klines eine Strategie der Verdinglichung und Entkörperlichung an.
Neben diesem Pfad an der Schnittstelle zwischen Sciencefiction und 3D-Animationstechnologien, stellt Nel Aerts in einem Gemälde eine von hinten gesehene Skulptur einer Aphrodite Kallipygos mit einem verjüngten Obelisk in Dialog. Diese Skulpturen, die einem Zeichentrickfilm oder einem Comic gleich kommen, stellen Karikaturen der Genderstereotypen und sexueller Symbole dar.

Castillo/Corrales, Paris, bis zum 1. März 2014

Und bald…

7. L’Almanach 14
Für diese Ausstellung wurden Werke von sechzehn Künstlern sechs verschiedener Staatsangehörigkeiten zusammengebracht. Jedem ist ein ganzer Raum gewidmet. Das breite Spektrum von Medien wie Fotografie, Malerei, Installation, Skulptur, Video und Film, spiegelt die Vielfältigkeit der heutigen künstlerischen Praxis wieder.
Es handelt sich nicht um eine Themenausstellung sondern viel mehr um die starre Aufnahme der Interessen des Kunstvereins Le Consortium. Die Veranstaltung wurde unter Bezugnahme auf das Kohlenstoffisotop  14C, das die Datierung organischer Materialien ermöglicht, Almanach 14 benannt.
Mit Werken von: Marvin Gaye Chetwynd, Trisha Donnelly, Antoine Espinasseau, Rachel Feinstein, Rodney Graham, Sheila Hicks, David Hominal, Alex Hubbard, John McAllister, Laure Prouvost, Charles Ray, Collier Schorr, Emily Sundblad, Frederik Værslev, Kelley Walker, Jordan Wolfson.

Consortium, Dijon, vom 22. Februar bis zum 1. März 2014

8. Erika Beckman et Philippe Decrauzat
In Philippe Decrauzats Einzelausstellung im monumentalen Raum la Rue des Magasin werden acht Gemälde und drei experimentelle 16-mm-Filme in Dialog stehen. Die Filme, die auf den Schatten kubischer Bauelemente ausgestrahlt werden, sollen die Architektur des Schiffes betonen. Der Künstler bedient sich der architektonischen Einschränkungen, und wandelt sie in positive Voraussetzungen um.
Erika Beckmans erste Einzelausstellung in Frankreich wird ebenso mit Spannung erwartet. In einem Interview mit Lionel Bovier und Fabrice Stroun, das auf der Website der Kunsthalle Bern veröffentlicht wurde, sagte die amerikanische Künstlerin über ihre Arbeit: „Das Gefühl der Künstlichkeit kommt daher, dass alles in meinen Filmen ein Modell oder eine Replika von etwas anderem ist. Die Objekte, die ich animiere, sind Symbole. Mich interessiert wie geistige Bilder erzeugt werden und wie man diese wortlos kommunizieren kann. Mein Werk ist stets aktionsbasiert, egal ob es sich um Zeitrafferanimationen, Performance, Stummfilm-Schauspiel oder Sport handelt. Der physische Prozess ein Film oder Objekt herzustellen, bringt eine gewisse Art der Konzentration mit sich, die mir fehlt wenn ich mit einem Interface arbeite.“

Le Magasin, Grenoble, vom 8. Februar bis zum 4. Mai 2014

9. Ed Atkins
Nach seiner Einzelausstellung in PS1 New York und der Präsentation seines Werks auf der Biennale de Lyon  sind wir gespannt die digitale Geschichten und Variationen des britischen Künstlers Ed Atkins wiederzusehen oder zu entdecken.

Palais de Tokyo, Paris, vom 6. Juni bis zum 7. September 2014

Ben Schumacher
Für seine erste Ausstellung in Frankreich realisiert der kanadische Künstler Ben Schumacher eine Reihe neuer Werke anhand von Resten, die durch die exekutiven Spekulationen großer Architekturagenturen entstehen. Diese Arbeitsorganisations- und Computertechnik zielt auf die Leistungsoptimierung der Bau- und Infrastrukturproduktion ab. Sie basiert auf der Benutzung von Computersoftwares, welche die von jedem Kriterium herbeigeführte Wahrscheinlichkeit errechnen – seien diese finanzielle, menschliche, technische, oder weitere Variablen. Durch spekulative Exekution wird eine gewisse Menge von Modellen, Zeichnungen und anderen Dokumenten produziert, die nie benutzt werden. So schätzt der Künstler die Effekte der Spekulation ein, und erklärt – nicht ohne Zynismus – die Verbindung zwischen dem Übermaß an Kreativität und Undurchführbarkeit, welche die utopischen Architekturprojekte – besonders in den Sechzigern und Neunzigern – charakterisierte, und dem zeitgenössischen Überdruss an Daten und Material, die einzig und allein  zur Optimierung der wirtschaftlichen Rentabilität existieren.

Musée d’Art Contemporain Lyon, vom 8. Juni bis zum 17. August 2014

 

Caroline Soyez-Petithomme
Caroline Soyez-Petithomme (geb. 1983) ist freiberufliche Kuratorin und Kunstkritikerin. Sie lebt in Paris und in Lyon.
Seit 2009 ist sie Leiterin von La Salle de bains in Lyon und trägt regelmäßig zur Herstellung von Ausstellungskatalogen, Künstlerbüchern und Kunstzeitschriften bei.
Sie absolvierte ein Master in Curating im Goldsmiths College London (2006-2008) und ein Master in Kunstgeschichte und Museumskunde an der Ecole du Louvre (2006), wo sie auch ihren Bachelor absolvierte.
Letztens kuratierte sie die erste Retrospektive der amerikanischen Künstlerin Lisa Beck, (die Monographie zu der Ausstellung erscheint im Jahr 2014) . Momentan bereitet sie eine Einzelausstellung des kanadischen Künstlers Ben Schumacher, die im Juni 2014 im MAC in Lyon zu sehen sein wird, vor.