Interview mit Jeanne Dreyfus-Daboussy

Was für Erwartungen haben Sie an den Workshop „Jeunes Commissaires“ in dieser Woche?
Mir geht es um Begegnungen. Ich nutze den Workshop, um die Berliner Kunstszene zu entdecken und mich von ihrer Dynamik anstecken zu lassen und mich in einer offenen Reflexion über Ausstellungsfragen auszutauschen.


Wenn wir von „Verantwortung“ sprechen, wofür tragen Sie als Kuratorin heute Sorge?
Ich denke nicht, dass „Sorge tragen“ der richtige Ausdruck ist. Die Künstler selbst oder die Berechtigten „kümmern sich“ um ihre Werke, und ansonsten kümmern wir uns um sie genauso, wie sie sich um die Vorschläge der Kuratoren kümmern.

Könnten Sie ein Thema oder ein Kunst-„Genre“ definieren, mit dem Sie sich ganz besonders beschäftigen?
Durch das Studium der Ausstellungsgeschichte und ihrer Systeme habe ich begonnen, den Akt des Ausstellens zu hinterfragen und auch die Entstehung von Werken zu befördern oder zu begleiten, die ihre eigenen Systeme und Prozesse des Zurschaustellens in sich tragen. Im Rahmen meiner analytischen Annäherung an das Medium der Ausstellung habe ich mich auch mit der Geschichte der Theater- und Operninszenierungen befasst.

Worin besteht eine ideale Beziehung zu einem Künstler oder einer Künstlerin?
Die ideale Position ist die, wenn man Einfluss auf die Arbeit hat. In den Fällen, da man in die Entstehung eines Werkes eingreift, kommt es zu einem Verlust des Autors, einem sozialen Bruch, den ich außerordentlich interessant finde.

Sie beschreiben da eine sehr aktive Position …
Ja. Ich denke, für einen Kurator oder eine Kuratorin ist es sehr befriedigend, auf einen Künstler Einfluss zu nehmen.

Wenn Ihre persönliche Tätigkeit eine Maschine wäre, was wäre Ihre Aufgabe? Wenn Sie sich z.B. eine mechanische Bewegung vorstellen.
Unsere Verantwortung ist tatsächlich im „Motor“ der Kunst angesiedelt. Gemeinsam mit den Künstlern eröffnen wir neue Perspektiven. Wenn wir schon nicht immer das Werk „erschaffen“, so haben wir durch die Zusammenarbeit und den Dialog doch daran teil. Für mich geht es um Teilhabe und Aktivierung.

Was sind Ihre derzeitigen Aktivitäten?
Ich kuratiere derzeit kein Projekt. Ich arbeite an einem Dokumentarfilm über den belgischen Künstler Marcel Broodthaers und bin Assistant Teacher an der Sciences Po.

Welche Referenzen sind für Sie in Kunstdingen unumgänglich?
Ohne jetzt auf „historische“ Kuratoren wie Harald Szeemann einzugehen, der eine herausragende Persönlichkeit ist, gibt es heute auch Kuratoren, die sich nicht im eigenen Glanz sonnen, sondern offen sind für gesellschaftliche Fragen. Die Arbeit des Kunstzentrums Artists Space in New York, das sich mit derlei Fragen beschäftigt und sich politisch engagiert, ist in dieser Hinsicht vorbildlich.

Mit welchen Künstlern arbeiten Sie im Moment zusammen?
Ich stehe Fabien Giraud und Raphaël Siboni nahe und verfolge deren Arbeit aus der Nähe. Ihre Reflexion ist für mich sehr markant. Außerdem würde ich gern ein Projekt mit Sharon Hayes machen, deren Arbeiten zurzeit bei Tanya Leighton zu sehen sind.

Wie denken Sie über das Publikum Ihrer Arbeit?
Ich denke, dass kuratorische Problemstellungen sich dem Publikum oft nicht erschließen. Um unsere Intention nachzuvollziehen, muss ein Besucher die ausgestellten Werke sehr gut kennen, und das ist selten der Fall, selbst bei Experten für zeitgenössische Kunst.

Sie arbeiten in großen Institutionen (z.B. Palais de Tokyo, Centre Pompidou). Wie finden Sie da Ihre eigene Unabhängigkeit und woran machen Sie sie fest?
Ich finde sie, indem ich mich von diesen Orten entferne, indem ich zum Beispiel an meinem Dokumentarfilmprojekt arbeite. Es gibt allerdings auch in den Institutionen, in denen ich tätig war, eine Form von Selbstbestimmung und einen Handlungsspielraum, trotz der vorgegebenen Diskurse. Es ist schwierig, eine Ausstellung aufzubauen, die nicht dem theoretischen oder künstlerischen Zeitgeist entspricht.

Wie stehen Sie zu dem Ausdruck „Curating is the new criticism“?
„Curating“ war schon immer die Frucht einer kritischen Aktivität sowie eine politisch engagierte Geste. Patricia Mainardi hat einen sehr interessanten Artikel geschrieben, in dem sie zeigt, wie bei der Weltausstellung 1885 die Kaiserliche Kommission in einem Versuch, die Gegensätze von Akademismus und abtrünnigen Bewegungen (Romantik, Realismus und Naturalismus) zu überbrücken, den Vertretern der jeweiligen Bewegung, allen voran Courbet, vorgeschlagen hatte, ihnen eine Retrospektive zu gewähren. Gleichzeitig gestand sie dem Eklektizismus von Künstlern wie Horace Vernet einen ebenbürtigen Platz zu. Die Autorin sieht in dem Bemühen der nationalen Kommission, die verschiedenen malerischen Tendenzen zu vereinen, einen symbolischen Akt, um zu zeigen, dass der neuen Regierung, dem Zweiten Kaiserreich, an Einheit und Zusammenhalt der Nation gelegen war, indem sie „das Verschmelzen persönlicher Interessen und Stile in den Dienst kollektiver Konventionen stellte“. Es geht der Regierung darum, eine Schrift zu verfassen, die sie in einem guten Licht erscheinen lässt. Angesichts dieser Tatsache präsentiert Courbet seinen Realismus-Pavillon, der gleichermaßen monografische Erzählung und kritische Reaktion auf die Regierung ist. Es ging also schon bei den ersten Beispielen des Kuratierens um kritische und politische Fragen. Das Kuratieren ist ein Anwendungsbereich der Kunstgeschichte, eine kritische und politische Tätigkeit. Das Positive an der Vervielfachung von Ausstellungen, Künstlerfamilien und Reflexionen in jüngster Zeit ist, dass sie außerordentlich belebend auf die Kunsttheorie und die Vielfalt der Herangehensweisen wirkt.

Wie gehen Sie mit Ihrer kuratorischen Tätigkeit auf die Flut von Dingen ein, die unsere Gesellschaft heute innewohnen?
Ich denke, die einzige Möglichkeit, sich zu positionieren, besteht darin, dass wir versuchen, auf Dinge einzugehen, die wir nicht verstehen. Als Kuratorin möchte ich mit historischen Problemstellungen, gesellschaftlichen Phänomenen usw. arbeiten.

Da Sie gerade von „Dingen, die wir nicht verstehen“ sprechen: Die abc- Kunstmesse findet diese Woche in Berlin statt. Wie ist Ihr Verhältnis zum Kunstmarkt?
Mich widern Messen an; nicht wegen der Allgegenwart des Geldes, sondern wegen der Masse von Kunstwerken, die auf engsten Raum gezeigt werden. Das entspricht nicht meiner Art, mich der Kunst zu nähern. Ich glaube, es gibt keine grundlegende Opposition von Kunst und Markt, aber natürlich Unterschiede zwischen „was verkauft wird“ und „was gezeigt wird“.

„Unlimited“ bei der Art Basel?
Man kann zwar kleine Ausstellungen bei Messen zeigen, aber mir erschließt sich nicht, was das wirklich bringen soll.