Fünf Ausstellungstipps in Paris diese Sommer

Die Empfehlungen von Lynhan Balatbat, Kuratorin in SAVVY Contemporary Berlin

Lynhan Balatbat

Allen voran sei erwähnt, dass sechs Tage in einer Metropole wie Paris nicht annähernd Zeit genug sind, um einen umfassenden Einblick in die vielfältige und vielschichtige Kunst- und Kulturszene zu erlangen. Im Rahmen des dichten Programms der FOCUS bildenden Kunst Woche von Institut français (Einladung von internationalen Kuratoren) wurden sehr spannende und zukunftsweisende Projekte präsentiert. Hier eine kurze Zusammenfassung meiner persönlichen Favoriten:

La Colonie (128 rue Lafayette, 75010 Paris)

La Colonie © Sandra Nicolle

Kader Attias neu eröffneter Raum im 10ten Pariser Bezirk ist ein interdisziplinärer Ort des Zusammenkommens. In dem großzügig gestalteten Gebäude erstrecken sich über mehrere Etagen ein geräumiger Innenhof, einige Bars, ein Raucherraum und verschiedene/zahlreiche Ausstellungsräume. Dieser Ort des Zusammentreffens, des kritischen Denkens, des Tanzes und Debattierens ist mein persönlicher Favorit, weil hier durch private Gelder eines Künstlers ein öffentlicher Ort der Avantgarde, ein Hybrid der alten Tradition der Kaffeehauskultur und des Philosophierens geschaffen wurde. Mit zahlreichen Aktivitäten und Interventionen wie Vorträgen für das Kollektiv wird hier sozusagen eine zivile Insel von Wissensproduktion in mitten von Paris gestellt. Im Unterschied zu herkömmlichen Kunstorten wird hier keine zentralistische Form der Wissensproduktion präsentiert, vielmehr das Kollektiv und das Zusammentragen von Gedanken gefördert.

Marcelle Alix (4 rue Jouye-Rouve, 75020 Paris)

Die von Isabelle Alfonsi & Cécilia Becanovic geführte Galerie in den etwas entlegeneren Straßen von Paris ist eine kleine Kunstoase im Nordosten der Stadt. Marie Voigniers Arbeit wurde hier sehr ausführlich ausgestellt, in enger Zusammenarbeit mit der Künstlerin wurden nicht nur Videoarbeiten und Monografien, sondern auch Beweggründe und Impulse, die als Grundton ihrer Arbeit dienten, sichtbar gemacht. Sehr schnell fühlt man in diesem Raum die Nähe zwischen Galeristinnen und Künstlerin, was den BesucherInnen wiederum einen tieferen Einblick in die Arbeitsweisen und Inhalte gibt.

Fondation Louis Vuitton (8, avenue du Mahatma Ghandi, 75116 Paris)

© DB-ADAGP Paris / Iwan Baan / Fondation Louis Vuitton

© DB-ADAGP Paris / Iwan Baan / Fondation Louis Vuitton

Art / Africa, le Nouvel Atelier.
Trotz des sehr altertümlich gewählten Ausstellungstitels bietet die momentane Ausstellung in der Fondation Louis Vuitton im Westen der Stadt eine besondere Gelegenheit, Arbeiten von KünstlerInnen der Gegenwart zu besuchen. Die sowohl thematische als auch chronologische Unterteilung der Arbeiten führt im 2. Stock des Hauptgebäudes zu den Werken südafrikanischer KünstlerInnen, die in ihren Arbeiten Themen wie Apartheid, Verwurzelung, Identität, Rassismus und Widerstand aufgreifen.

Fondation Kadist (19bis/21 rue des Trois Frères, 75018 Paris)

Haig Aivazian, 1440 couchers de soleil par 24 heures, vue de l’exposition à la fondation Kadist, Paris, 2017 Courtesy de l’artiste & Kadist, Paris, 2017

Haig Aivazian: 1440 couchers de soleil par 24 heures
Im Herzen von Montmatre befindet sich in einem Hinterhof der im Jahre 2006 eröffnete Kunstraum Kadist, welcher sich als eine Non Profit Organisation bezeichnet, der Kunst als fundamentales Werkzeug sieht um die Gesellschaft zu verändern. Die Programme des Kunstraums unterstützen KünstlerInnen, deren Werke anschließend oft Teil ihrer Sammlung werden. Die Produktionen geben in vielerlei Hinsicht einen globalen Blick auf zeitgenössische Kunst, der in Kollaboration mit internationalen Kunstschaffenden wie KuratorInnen, Organisationen und KünstlerInnen gemeinsam geschaffen werden soll. Kadist ist nicht nur ein Ausstellungsort, sondern auch ein Begegnungszentrum für öffentliche Veranstaltungen.

Khiasma (15 Rue Chassagnolle, 93260 Les Lilas, Frankreich)

Espace Khiasma

Khiasma ist ein Kunstraum, der in der östlichen Peripherie der Stadt in einer ehemaligen Farbfabrik zu finden ist. Olivier Marboeuf, der Gründer des Raumes, ist Kurator, Autor und Performancekünstler, und beschäftigt sich mit der Beziehung von Bildern, Text und Stimme sowie Minderheiten-Narrativen. Khiasma ist ein wunderbarer Ort um Kunstschaffende, die jenseits des gewaltigen Kanons des eurozentristischen Diktats arbeiten, zu unterstützen. Ehemals primär als Ort des Zusammentreffens der umliegenden Nachbarschaft gedacht, transformierte sich hier Khiasma zu einem einzigartigen Ort, an dem eine kritische Auseinandersetzung mit Themen wie Grenzen, Politik, soziales Leben, mentale Gesundheit, urbane Ökologie und Transmission in Form gebracht wird.

Lynhan Balatbat-Helbock
Geboren 1982 in Wien, Österreich
Lebt und arbeitet in Berlin

Lynhan Balatbat-Helbock ist Kuratorin und Researcher und leitet ein partizipatives Archivprojekt bei SAVVY Contemporary in Berlin. Sie studierte Romanistik in Wien und absolvierte ihren Master in Postcolonial Cultures and Global Policy an der Goldsmiths Universität in London. Seit 2014 lebt sie in Berlin und arbeitet unter anderem an dem permanenten Archivprojekt Colonial Neighbours. In ihrer Forschung beschäftigt sie sich mit kolonialen Spuren die sich in der Gegenwart manifestieren, silenced histories und Dekanonisierung des Westlichen Blickes. In enger Zusammenarbeit mit Künstlerinnen, Initiativen und Aktivisten wird in einer hybriden Praxis ihre jeweilige Arbeit durch eine kritische Auseinandersetzung mit den Objekten des Archives, bedingt.

Sie unterstützte die Künstlerin Bouchra Khalili bei mehreren Projekten und Ausstellungen, darunter bei Streamlines-Ozeane, Welthandel und Migration, Deichtorhallen Hamburg, Germany (2015), The Opposite of Voice-Over, Färgfabriken Konsthall, Stockholm (2016) und The Mapping Journey Project, MoMA, New York (2016).

Zuletzt arbeitete sie in Kollaboration mit dem Maerzmusikfestival der Berliner Festspiele an der Ausstellung und dem Dokumentationszentrum zu Julius Eastman und dem Radio Format der documenta14 – Every time a Ear di Sound, SAVVY Funk in Berlin.