Sabine Weier ist freie Autorin und Kuratorin. Während des 6. Europäischen Monats der Fotografie zeigt das Polnische Institut Berlin die von ihr kuratierte Ausstellung „Stocznia/Shipyard“ mit Arbeiten des Dokumentarfotografen Michał Szlaga. Insgesamt 130 Fotografie-Ausstellungen sind zwischen dem 16. Oktober und dem 16. November 2014 in Berlin zu sehen. Für Jeunes Commissaires hat Sabine Weier zehn Tipps zusammengestellt.
1. Irina Ruppert, Julia Smirnova und Nikita Teryoshin, aff Galerie
Die im Berliner Stadtteil Friedrichshain gelegene aff Galerie ist ein von einem zehnköpfigen Kollektiv betriebener Projektraum für zeitgenössische Fotografie. Während des Europäischen Monats der Fotografie sind dort Arbeiten von Irina Ruppert, Julia Smirnova und Nikita Teryoshin zu sehen. Alle drei wurden in der ehemaligen Sowjetunion geboren und wanderten in verschiedenen Lebensphasen nach Deutschland aus. Mit der Kamera in der Tasche kehrten sie zu ihren Heimatorten zurück. Ruppert hielt Szenen des Lebens im ländlichen Osteuropa fest. Smirnova fotografierte die Veränderung der Stadt Jaroslawl. Teryoshin glich Orte in St. Petersburg mit seinen Kindheitserinnerungen ab. Heraus kamen sehr persönliche Auseinandersetzungen mit der postkommunistischen Gegenwart, jeweils getragen von den charakteristischen künstlerischen Handschriften der drei vielversprechenden jungen Künstler.
Aff Galerie, 24. Oktober bis 16. November 2014
2. SpringerParker, Petra Rietz Salon Galerie
Vor einigen Jahren machte sich das deutsche Künstlerduo SpringerParker nach Norwegen auf, um in der arktischen Landschaft im Norden des Landes auditive und visuelle Eindrücke zu sammeln. Die Fragmente überführten sie in Live-Performances und Präsentationen. Mit dem Zyklus „Memoria Norway“ erforschen SpringerParker künstlerisch die Veränderung der Landschaft durch den Klimawandel und die Erinnerung daran. Einige Fotografien daraus sind beim Europäischen Monat der Fotografie in der Schau „Vom Verschwinden der Farbe im Schnee“ zu sehen. Farbigkeit und Motive vermitteln eine traumartig-surreale Atmosphäre. Aufnahmen geschmolzener und wieder eingefrorener Wasserproben gerinnen zu abstrakt anmutenden Kompositionen.
Petra Rietz Salon Galerie, 18. Oktober bis 29. November 2014
3. Erik Niedling, Haus am Lützowplatz
Erik Niedling möchte in einem Pyramidenberg begraben werden. Es soll das größte Grab aller Zeiten sein, 200 Meter hoch und aus einem natürlichen Berg herausgeschlagen. Nach der Beerdigung des Konzeptkünstlers soll der Berg wieder mit dem abgetragenen Material bedeckt werden. So steht es auf Niedlings Webseite, zusammen mit einer Liste von Arbeiten, die als Grabbeigabe dienen. Dieses Konzept, ein Geschenk des Schriftstellers Ingo Niermann, nahm Niedling auch zum Anlass, für ein Jahr so zu leben und zu arbeiten, als sei es sein letztes. Das Haus am Lützowplatz zeigt Fotoarbeiten Niedlings, unter anderem aus dieser Zeit. Darunter sind Landschaftsaufnahmen mit pyramidenförmigen Bergen, die durchnummerierten „Pyramid Mountain Photographs“.
Haus am Lützowplatz, 14. November 2014 bis 18. Januar 2015
4. Walker Evans, Martin-Gropius-Bau
Der Martin Gropius Bau zeigt eine große Retrospektive zum Werk des US-amerikanischen Fotografen Walker Evans, eine der wichtigsten Persönlichkeiten der künstlerischen Dokumentarfotografie. Mit Arbeiten aus mehreren Jahrzehnten gibt die Ausstellung einen Überblick über sein vielseitiges Schaffen, das weit über die berühmten Aufnahmen armer Landarbeiter zur Zeit der Großen Depression im Süden der USA hinausgeht. Beeindruckend sind zum Beispiel seine Porträts von Freunden, wie Tennessee Williams, oder auch die Aufnahmen, die er gemeinsam mit der Fotografin Helen Levitt heimlich von Passagieren in New Yorker U-Bahnen machte.
Martin-Gropius-Bau, bis 9. November 2014
5. Christine Häuser und Elena Ilina, Atelier Soldina
Die Auseinandersetzung mit der eigenen Kindheit und Jugend während des Kalten Krieges und der von dieser Epoche geprägten Gegenwart gehört zu den wichtigsten Themen der zeitgenössischen europäischen Fotografie. Junge Künstlerinnen und Künstler setzen sich zum Beispiel in dokumentarischen Werkserien damit auseinander. Häufig arbeiten sie aber auch mit gefundenen Bildern aus öffentlichen und privaten Archiven. Die Westdeutsche Christine Häuser und die Ukrainerin Elena Ilina erlebten die Zeit auf der jeweils anderen Seite des Eisernen Vorhangs. In einer Ausstellung im Atelier Sodina stellen sie gefundene und abfotografierte Bilder aus den Sechzigerjahren gegenüber. Ilina suchte etwa Bilder aus der sowjetischen Zeitschrift „Ausländische Literatur“ aus, die westliche Kulturereignisse in offensichtlich manipulierter schlechter Qualität zeigen. Ästhetisch erinnern die Arbeiten der beiden Künstlerinnen an die politische deutsche Pop Art, wie sie in den Sechzigerjahren von Sigmar Polke und Gerhard Richter geprägt wurde. Das kleine Atelier Soldina ist Teil der Kolonie Wedding, einer Vereinigung mehrerer junger Projekträume und Studios im Berliner Stadtteil Wedding.
Atelier Soldina, 31. Oktober bis 30. November 2014
6. Oliver Dignal, Pujan Shakupa, Stefan Stark und Thomas Weyand, Projektraum Hochschule für Gestaltung Offenbach/Satellit Berlin
Die Hochschule für Gestaltung in Offenbach produziert vielversprechenden Künstlernachwuchs. In Berlin hat die HfG schon vor einigen Jahren einen Projektraum mit Ausstellungsfläche und Wohnung für Arbeitsaufenthalte eröffnet, den „Satellit Berlin“. Zum Europäischen Monat der Fotografie präsentieren sich hier vier Studierende der HfG. Oliver Dignal, Pujan Shakupa, Stefan Stark und Thomas Weyand untersuchen in fotografischen Arbeiten „Mini Europe“. Zum Teil ist das wörtlich zu verstehen: Sie fuhren zum Beispiel nach Brüssel, um dort in einem Modellpark Miniaturen bedeutender europäischer Bauten zu fotografieren. Aber auch an anderen Orten inszenierten sie Nachbauten von Fassaden, Bauten und Skulpturen in künstlerischen Kompositionen. Heraus kamen Studien ikonischer Architekturen und verschachtelter Realitäten, Abbilder von Abbildern.
Satellit Berlin, 10. Oktober bis 2. November 2014
7. C/O Berlin
Die Wiedereröffnung von C/O Berlin, einem der wichtigsten Ausstellungsorte für Fotografie in Berlin, haben viele ungeduldig erwartet. Am 30. Oktober ist es soweit, während des Europäischen Monats der Fotografie eröffnet die Institution in neuen Räumen. Im Alten Postfuhramt in Berlin Mitte, einem Prunkbau aus dem 19. Jahrhundert mit eindrücklicher Patina, waren Schauen legendärer Fotokünstler wie Annie Leibovitz, Nan Goldin oder Larry Clarke zu sehen. Im Amerika-Haus, einem in den Fünfzigerjahren erbauten ehemaligem US-amerikanischen Kulturzentrum, geht es nun weiter. In den modernen Räumen eröffnet C/O Berlin mit vier Ausstellungen. Die erste große Einzelschau zeigt Arbeiten des US-Amerikaners Will McBride, der unter anderem in Berlin nach dem Zweiten Weltkrieg fotografierte. Luise Schröder, eine Gewinnerin des Nachwuchswettbewerbs „Talents“, setzt sich in manipulierten Archivbildern mit der Geschichte der Stadt Dresden auseinander. Zwei Schauen liefert die Fotoagentur Magnum: Eine zeigt Kontaktbögen aus den Archiven von Stars der Reportagefotografie, eine andere stellt präparierte Fotoautomaten bereit, die Bilder im Stil berühmter Magnum-Fotografen auswerfen.
C/O Berlin, 31. Oktober 2014 bis 18. Januar 2015
8. Miklos Gaál, Galerie Wagner + Partner
Ob wir wirklich sehen, was wir sehen, wie wir es sehen und welche Vorstellungen wir damit verbinden, sind Fragen, mit der sich die Fotografie schon beschäftigt, seit es sie gibt. Miklos Gaál, ein finnischer Künstler mit ungarischen Wurzeln, untersucht in seinen fotografischen Arbeiten ebenfalls das Verhältnis von Fotografie und abgebildeten Wirklichkeiten. Meist nimmt Gaál Landschaften aus der Vogelperspektive auf und lässt sie durch ungewöhnlich platzierte Schärfen und Unschärfen befremdlich wirken. Manchmal inszeniert er auch zufällig gefundene Motive in seinen Kompositionen. Der Betrachter kann sich dann Geschichten dazu ausdenken. Da tauchen eingeseifte Tischplatten und eingeknickte Jalousien auf, oder mal Fahrspuren im Schnee. Bei aller konzeptueller Experimentierfreude sind Gaáls Arbeiten auch einfach schön anzusehen.
Galerie Wagner + Partner, 31. Oktober bis 13. Dezember 2014
9. Zeitgenössische Fotografie aus Belarus, ifa-Galerie Berlin
Die Galerie des Instituts für Auslandsbeziehungen in Berlin gibt anlässlich des Europäischen Monats der Fotografie Einblick in die junge Szene Weißrusslands. Zu sehen sind Arbeiten von 16 Fotokünstlern, allesamt Gewinner eines in ihrer Heimat ausgeschriebenen Wettbewerbs. In ganz unterschiedlichen Werkserien und mit verschiedenen ästhetischen Ansätzen beschäftigen sie sich mit der Gegenwart im postsowjetischen Weißrussland. Dabei sind dokumentarische Arbeiten, Porträts sowie konzeptuelle Ansätze. Bei dieser Gruppenausstellung lassen sich bestimmt einige Entdeckungen machen.
ifa-Galerie, Oktober 2014 bis 18. Januar 2015
10. Émilie Pitoiset, Klemm’s
Zwar ist die Berliner Galerie Klemm’s nicht Teil des offiziellen Programms des Europäischen Monats der Fotografie, doch ein Besuch hier lohnt sich für Fotografieinteressierte immer. Auf der Künstlerliste stehen ein paar der spannendsten Vertreter der zeitgenössischen Fotografie, zum Beispiel Viktoria Binschtok und Sven Johne. Viele haben ein Studium an der Hochschule für Grafik und Buchkunst (HGB) in Leipzig absolviert. Alle verfolgen spannende künstlerische Konzepte. Im September und Oktober sind Werke der französischen Künstlerin Émilie Pitoiset zu sehen. Sie arbeitet vorrangig in den Medien Collage, Zeichnung, Video und Skulptur, beschäftigt sich aber mit Themen, die auch der Fotografie eigen sind, setzt sich zum Beispiel mit abbildenden, dokumentarischen und narrativen Ästhetiken auseinander. Pitoisets Arbeiten stehen auch für den regen Austausch zwischen der Fotografie und anderen Medien der bildenden Kunst.
Klemm’s, 17. September bis 25. Oktober 2014