Interview mit Agnès Violeau

Heute startet „In Extenso – Erweitert“: Die Kuratorin Agnès Violeau wird sich gemeinsam mit der Autorin und Philosophin Léa Gauthier sowie dem Künstler Christian Jankowski dem Thema „Performance“ nähern. In Vorbereitung auf die Diskussionsrunde am Y-table des Deutschen Architektur Zentrums DAZ haben wir mit Agnès ein Interview geführt, das nicht nur Einblicke in ihre Definition von Performance und ihr kuratorisches Selbstverständnis gibt:Wie würdest Du den Begriff von Performance definieren?
Als unabhängige Kuratorin beschäftige ich mit bereits seit zehn Jahren mit diesem Begriff. Performance ist zu allererst Intention und ihre Interpretation rekurriert auf den Körper bzw. dessen Präsenz. Daraus ergeben sich eine Vielzahl an Möglichkeiten, besonders seit den Nullerjahren, als die Grenzen zwischen den künstlerischen Disziplinen immer poröser wurden, die Bildenden Künste sich Mittel der Darstellenden Kunst zu eigen machten und ein gewisser Hang zur Theatralität Einzug hielt. Im Übrigen ist der Einfluss der Schule des neuen Tanzes und der Choreografen der neunziger Jahren (Xavier Le Roy, Jérôme Bel, und später Boris Charmatz) auf die heutigen Künstlern deutlich erkennbar. Dieses aktuelle Interesse an Performance steht für mich in enger Verbindung zu den Entwicklungen um die  Jahrhundertwende. Ich mag den Gedanken von RoseLee Goldberg, wonach Performance eine Art der Konzentration aller Medien ist – Bildhauerei, Malerei, Video – deren Trennung sie in Frage stellt, um dadurch eine neue Form künstlerischer Freiheit zu finden. Seit ein paar Jahren, und die Krise hat das sicher bestärkt, sehnen wir uns nach Körperlichkeit, einer Begegnung mit dem Anderen. Performance offenbart einen Moment des Innehaltens, der Verlangsamung; sie verlangt die Präsenz des Künstlers sowie die unsrig als Zuschauer. Vor allem strebt Performance nicht unbedingt, nach Ergebnissen, nach heroischen oder spektakulären Gesten, sondern beweist, dass eine Alternative zum Wettbewerb, zur Performance im Sinne der Effizienz. möglich ist, die vor allem mit Austausch, mit dem Leben zu tun hat. Sie entspricht der komplexen wirtschaftlichen Phase, die wir heute erleben und weniger jener der 80-90 Jahre.. Übrigens hat sich in Ländern wie Latein Amerika und Osteuropa eine historisch relevante performative Szene zu einer Zeit entwickelt, als es,  lediglich den Körper als „Arbeitsmittel“ gab, um öffentlich präsent zu sein,

Inwiefern bezieht sich deine Arbeit als Kuratorin auf Performance, das Thema, das du im Rahmen des Projekts In Extenso behandeln wirst?
Als Kunsthistorikerin und Museumswissenschaftlerin war meine erste Herausforderung nach dem Studium die Koordination eines Projektraums. Dort arbeitete ich mit den Künstlern eng zusammen, um temporäre wie permanente Projekte vor Ort zu realisieren. Sehr schnell habe ich in dieser Zeit festgestellt, dass meine Interessen und vielleicht auch meine Fähigkeiten, von Begriffen wie „Hier“ und „Jetzt“ gesteuert sind. Die Künstler, mit denen ich arbeitete, waren unheimlich aktiv und umtriebig. Alles war permanent in Bewegung und im Entstehen, nichts war  in Stein gemeißelt oder bestand Schwarz auf Weiß. Alles wurde in „Echtzeit“ gebaut und umgesetzt. In diesem Kontext ist auch die kuratorische Zeitschrift J’aime beaucoup ce que vous faites entstanden, die den Schaffensprozess von bildenden sowie literarischen Werken thematisiert. Und dann habe ich etwas kennengelernt,   was noch beweglicher und weniger monadisch war als die Praktiken der Künstler, mit denen ich bisher zusammenarbeitete: die Live Praxis. Als ich dabei war, in die Welt der Performance durch Lautpoesie und öffentliche Lesungen einzutauchen, wurde ich zusammen mit Christian Alandete (Mitbegründer und Kodirektor der Zeitschrift JBCQVF) von der Ricard Stiftung dazu eingeladen, das Programm „Fiction-Lectures performées“ zu kuratieren. Dieses neue Projekt gab mir die Gelegenheit, die Suche nach neuen Formen von Performativität zu vertiefen, unabhängig von historischen Modellen, die mit dieser Ausdrucksform eine politisch engagierte Kunst bezeichneten, die nichts mit lebendiger Kunst zu tun hatte (per oder proforma, „durch die Form“, das ergab to perform, „erledigen, machen“ oder im alten Französisch parformance, „formen“). Obwohl meine Vorgehensweise überwiegend auf Fragen zur Sprache und ihres unerschöpflichen Potentials an Aktivierungsmöglichkeiten (Am Anfang war das Wort) beruht, besonders auf den Gedanken und Notationen zur Performativität von John Austins, denke ich, dass der Körper unser einziges tatsächliches Eigentum ist; und genau darum geht es bei der Performance.

Was bedeutet es heutzutage eine Kuratorin zu sein? Wie würdest Du die Rolle des Kurators in der Gesellschaft beschreiben?
Den Begriff curating ziehe ich gern vom Etymologischen her auf. Die Rolle des Kurators ist es nicht nur für die Künstler „Sorge zu tragen“ sondern auch für das Publikum Historisch betrachtet, hat der Kurator aber auch noch eine weitere interessante Funktion: im antiken Rom war der curador für die Sicherheit des Straßenverkehres im Stadtstaat, der polis, zuständig. Mir gefällt die Vorstellung des Kurators als eine politische Persönlichkeit: Im Mittelalter gab es eine priesterliche Figur namens curatus, deren Aufgabe darin bestand, die Seelen auf dem Weg ins ewige Leben zu begleiten. Ich denke, dass der Kurator ein intellektuelles sowie gefühlsmäßiges Bewusstsein mit dem Künstler teilt, das Elie Durings „Mäeutik des Denkens“ (Maïeutique de la pensée) enspricht; ob sich dies tatsächlich in irgendeiner Form verfestigt oder nicht, spielt keine Rolle. In zweiter Linie soll der Kurator einen kontinuierlichen Dialog führen. Deleuze betonte übrigens, dass das Schaffen eines Konzepts oder einer Idee bereits eine echte Kreation sei – in gleicher Weise wie Malerei bzw. jegliches Werk bildender Kunst. Für mich ist Kunst, wie Roland Barthes es ausdrückt, die schönste Brille, durch welche die Welt betrachtet werden kann.

Welchen Beitrag leistet ein Programm wie Jeunes Commissaires mit einem Projekt wie In Extenso zu deiner Arbeit?
In erster Linie erlaubt es mir die Möglichkeit zu reisen, Akteure aus verschiedenen Disziplinen und mit unterschiedlichen Fragestellungen kennenzulernen und dadurch auch andere Perspektiven einzunehmen. Jeunes Commissaire bietet mir die Gelegenheit, meine Arbeit neu zu denken – was man eigentlich jeden Tag machen sollte. Es ist wichtig, nicht der Gewohnheit zu verfallen. Man sollte verhindern, sich im Mainstream, was dem heutigen Akademismus entspricht, zu verankern. Ebenso gefällt mir der Kontext- und Sprachwechsel, was  die Struktur meines Denkens und de facto meine Praxis beeinflusst. In meinen Recherchen beschäftige ich mich mit möglichen Verhaltensformen, ihrem Entstehen und ihrer Setzung sowie ihrer Bedeutung für Ausstellungen, Wie ist Performance vom Ereignis zu unterscheiden? Wie kann man eine Absicht fern eines bloßen Archiv- bzw. Dokumentaransatzes verfolgen, d.h. in der selben Zeitlichkeit des menschlichen Lebens? Mit In Extenso untersuche ich Raum und Architektur durch die Brille der manchmal sehr autotelischen Darstellenden Kunst. Dies sollte mir erlauben, mich gründlich mit dieser elastischen Verbindung tiefer zu befassen und gleichzeitig meinem Arbeitsparadigma treu zu bleiben, das aus zwei meiner Forschungsachsen – dem Gemeingut und der Performance – sowie verschiedenen ähnlichen Themen besteht (Identitätssuche, Verantwortlichkeit, Widerstand, Emanzipierung, freier Wille, Beziehung zwischen physikalischem und gemeinsamen Körper). So gesehen geht es hier um eine Kunst des Lebens.

Weitere Infos zu Agnès Violeaus Projekten gibt es hier.