Interview mit Arlène Berceliot Courtin

Wenn man das Wort „Kuratieren“ im Sinne des englischen „to care“ versteht, worum kümmern Sie sich dann im Moment?
Ich kümmere mich in erster Linie um die Künstler. Für mich besteht die Aufgabe des Kurators / der Kuratorin vor allem darin, Sorge zu tragen. Konkret bedeutet das viele Gespräche und anschließend die Umsetzung des Gesagten. D.h. dafür zu sorgen, dass man das richtige Format findet, damit die Ideen des Künstlers Form annehmen können.

Sie sagen, dass Sie für den Künstler sorgen. Betrifft das nur seine Arbeit oder auch ihn selbst?
Beides.

Wie entstehen diese Beziehungen?
Gleich nach dem Studium habe ich angefangen, in Galerien zu arbeiten. Durch die Galeristen, mit denen ich gearbeitet habe (Serge Le Borgne, Martine Aboucaya und Michel Rein), und durch meine Arbeit als Künstlerische Leiterin in der Galerie Dohyang Lee habe ich gelernt, Künstler zu verstehen. Ich habe festgestelllt, dass es die beste Art ist, Kunst zu verstehen, weil sie das Lebendmaterial der Kunstgeschichte darstellen.

An welchem Punkt Ihrer Laufbahn kam der Gedanke an „Konservierung“ auf?
Als ich an der Hochschule der Künste war und mich mit der Frage der Vergänglichkeit von Werken beschäftigte. Es hatte also praktische Gründe. Erst später hat sich der Begriff verkompliziert und auch ausgedehnt auf den eigentlich kuratorischen Bereich.

Sie haben als Künstlerin an der Kunsthochschule studiert.
Ja. Nach meinem Abschuss in Frankreich habe ich in Leipzig weiterstudiert. Das Fächerübergreifende der Künste hat mich schockiert und auch sehr angezogen, das ist in Deutschland viel weiter entwickelt und etabliert als in Frankreich. Im Rahmen dieses Studiums habe ich mich natürlich auf das Ausstellen von Werken spezialisiert, ohne deswegen Schwierigkeiten mit den Professoren zu haben.

Wir sprechen hier über die Hochschule für Grafik und Buchkunst. Interessieren Sie die Bildenden Künste bei Ihrer jetzigen Tätigkeit?
Mich interessiert es, Unterteilungen abzubauen. Im Moment arbeite ich nur mit Künstlern zusammen, aber im Rahmen meines Projektes „Pathfinder“ bei Moins Un in Paris zum Beispiel fließen Raum und Zeit ineinander. Es ist eine Ausstellung, die ein Jahr dauert, in kurze Abschnitte unterteilt ist und zyklisch abläuft. Ich empfinde die Ausstellung wie die Montage eines Films, dadurch kann ich auch das Kino miteinbeziehen. Ich bin natürlich keine Kinoexpertin, ich befasse mich als aufgeklärte Amateurin mit dem Thema und weite dadurch den Raum der Ausstellung in einen anderen Bereich aus.

Als Sie nach Ihrem Aufenthalt in Deutschland wieder nach Frankreich zurückkehrten, studierten Sie Kunstgeschichte an der Universität Paris I – Panthéon-Sorbonne. Es handelt sich um eine noch neue Richtung, mit einer anderen Lehrer-Schüler-Beziehung usw.
Das stimmt. Letztlich ist es wichtig, sich die Möglichkeit offen zu lassen und bewandert genug zu sein, um sich mit der Kunst und anderen Fächern gleichzeitig zu beschäftigen.

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Foto: Marlen Mueller

Es wird viel über aktuelle Kunst gesprochen, über „Kunst, die im Enstehen begriffen ist“. Können Sie ein Kunstthema oder ein Genre nennen, mit dem Sie sich besonders beschäftigen?
Das ist eine schwierige Frage. Ich denke, dass wir – und da schließe ich die Künstler mit ein – ganz allgemein auf eine Reihe von speziellen Gegebenheiten eingehen. Die Konzeptkunst bringt uns dazu, uns mit kontextueller Kunst zu befassen. Was mich betrifft, so versuche ich, mir Ausstellungsformate auszudenken.

Gehen die Künstler denn im Idealfall auf das Format ein, das Sie ihnen vorschlagen?
Im Idealfall und absolut betrachtet, ja. Die Künstler produzieren ihre Werke in dem Rahmen, den wir mit unserem Gespräch und unserer Beziehung gesteckt haben. Die Strukturen, in denen ich bislang arbeitete, haben mich darüber nachdenken lassen, wie man Werke einem Kontext entsprechend adaptieren oder anpassen kann. Darum wird es in meinen Gesprächen mit den Künstlern gehen.

Mit welcher Berufsbezeichnung stellen Sie sich auf Englisch vor?
Ich stelle mich genauso vor wie auf Französisch, als „Freelance Curator“.

Inwiefern sind Sie tatsächlich eine unabhängige Kuratorin?
Zumindest auf Französisch ist das eigentlich nur ein Wortspiel, denn in Wirklichkeit sind wir, abgesehen von der Handlungsfreiheit, überhaupt nicht unabhängig. Ich renne z.B. die meiste Zeit Subventionen hinterher. Damit kann ich die Arbeit der Künstler unterstützen, aber ich selbst kann davon nicht leben.

Wo wir gerade von Abhängigkeit sprechen: Welches Verhältnis haben Sie zu Ihrem Publikum?
Eine Ausstellung ist ohne Publikum nicht denkbar, das ist klar.

Kennen Sie Ihr Publikum?
Mein Publikum ist hauptsächlich institutioneller Natur: Kunstkritiker, Kuratoren, Sammler, Pressemitglieder, und allen voran natürlich Künstler.

Sie haben in Galerien gearbeitet. Was für ein Verhältnis haben Sie zu Sammlern?
Ich bin an Besuche von Sammlern gewöhnt. Es ist ein interessantes Verhältnis, vor allem im Hinblick darauf, wie man mit Kunstwerken im Alltag umgeht. Die Herausforderungen und Interessen sind verschieden, aber jeder, wie er mag. Sie interessieren sich für die (Entstehungs)prozesse, welche die Werke umgeben, und oft auch für die Künstler, selbst wenn sie nicht mehr unter uns weilen.

Man könnte sagen, dass die Aufgabe eines Kurators darin besteht, ein Publikum zu erschließen, das es noch nicht oder nicht mehr gibt …
Das trifft es ganz gut, aber ich denke, dass das Publikum sehr vielgestaltig ist. Und es wird auch viel über Ausstellungsformate nachgedacht. Ich persönlich halte es für zu früh, mich damit zu befassen, ein Publikum verändern zu wollen, Theorien aufzustellen oder darüber zu schreiben. Dafür muss ich mir noch viel aneignen.

Da wir von Format sprechen, wie denken Sie über die Dokumentation Ihrer Ausstellungen?
Es ist wichtig, Spuren zu hinterlassen, ein Archiv zu haben, aber genauso wichtig ist es, im Hier und Jetzt zu sein und zu experimentieren. Wir sind mittlerweile beim Archiv des Archivs gelandet, es gibt Überlegungen zu Archiv-Ausstellungen … Ich stelle mir Kunstgeschichte als lebendige Wissenschaft vor, und ich denke, die beste Art, an seinem Publikum zu arbeiten, ist die Arbeit an den Formaten und Ausstellungen zu konzipieren.

Welche Presseerzeugnisse konsultieren Sie regelmäßig?
Ich lese Art Magazine, Art Newspaper, Kaléidoscope, Mousse, Flash Art, Frieze. Mir gefällt auch der Blog „Le Beau Vice“ von Elisabeth Lebovici, der äußerst genau und umfassend ist, etwas, das man nur noch selten findet. An französischen Plattformen lese ich Slash und Zéro deux.

Und weniger aktuelle Werke, die Sie beeinflussen?
„Abstract Paintings“ von Bob Nickas, die Ausstellung „When Attitude Becomes Form“ von Harald Szeeman, die Arbeiten von Raymond Bellour zum Umgang mit bewegten Bildern (Kino, Video, Installation) seit den frühen 90ern und auch die Ausstellung dieser Erzähltechnik, die Arbeit von Roland Barthes zur Auffasung von „Neu“ und dem Stereotyp „Neu“.

Vor dem Hintergrund des „Neu“-Dilemmas, wie würden Sie da Ihre Tätigkeit als Kuratorin in mechanischer Weise beschreiben? Geht es darum, etwas auf die Beine zu stellen, zu sortieren, etwas zu dem hinzuzufügen oder zu entfernen, das es bereits in der Welt und/oder in der Kunstwelt gibt? Material zu beschleunigen, zu verlangsamen, festzuhalten?
Kuratorin zu sein heißt für mich auszuwählen. Eine Wahl zu treffen im Hinblick darauf, die Sachen in der unendlich kurzen Zeit und dem unendlich knappen Raum der Ausstellung zu zeigen. Meine Ausstellung bei Moins Un ist zum Beispiel ein zehntägiges Projekt, das sich auf ein Jahr erstreckt. An einem Ruck macht sich der Gedanke des „Neuen“ fest.

Ist es nicht die Pflicht eines Kurators, Material zu entfernen aus der Masse an Informationen, die jeden Tag auf uns einstürzen? Man denke nur an endlose Biennalen, inhaltlich überfrachtete Messen …
Für mich hat ein Kurator wirklich die Pflicht, auszuwählen, zu gestalten im Hinblick darauf, etwas hinzuzufügen und nicht zu entfernen.

Bei der Auswahl kann man Kuratoren beobachten, die ziemlich autoritär vorgehen, die die Ausstellung mehr oder weniger ihrem Welt- oder Kunstverständnis unterordnen.
Die Macht, die ein Kurator ausübt, mag in der Tat unterschiedlichen Zwecken dienen. Das führt mitunter zu Macht- und Egoproblemen, die ich nicht immer für angemessen halte. Manchmal geht es auch mehr um den „Glamour“ dieser Bezeichnung als darum, Gelegenheiten und Kontexte zu schaffen, sich um Ideen zu kümmern und ihnen eine Form zu geben.

Fotos von Marlen Mueller | Interview von Jeanne-Salomé Rochat