„Curating is the new criticism“?
Ich würde eher sagen, dass Kuratieren eine neue Form des Ausdrucks und des Experimentierens ist, mit der man viele Ideen beeinflussen kann. Wir müssen jedoch aufpassen, wie wir diese dann verwenden.
Wie stehen Sie zu der Macht, die man mit Ihrer Position oder Ihrer Berufsbezeichnung verbindet?
Ich habe keine Machtposition inne, für mich ist alles Definitionssache: Jeder macht seins. Der Künstler schafft das Werk, und meine Arbeit besteht darin, diesem Werk eine Plattform zu bieten. Sobald der Künstler dem Projekt zustimmt, begeben wir uns auf eine gemeinsame Reise, bei der jeder seine ihm eigene Rolle spielt. Der Kurator ist derjenige, der einen Rahmen anbietet und eine Reflexion auf Augenhöhe über die Arbeit des Künstlers.
Der Kurator oder die Kuratorin richtet also einen Rahmen ein.
Ja. Unsere Aufgabe besteht darin, das Terrain zu sondieren. Im Unterschied zum Ausstellungsleiter, der an einem festen Ort arbeitet, ist der Status des Kurators undefinierter und flexibler. Er oder sie versucht nämlich, etablierte Räume und Bekanntes hinter sich zu lassen. Das Interessante an diesem Beruf ist, dass man experimentieren und den Blick auf Praktiken, Welten und Geschichten lenken kann.
Präsentieren Sie sich als freie Kuratorin?
Ja, ich bin nicht gebunden. Als freie Kuratorin kann ich eher Grenzen übertreten, als wenn ich für eine Einrichtung oder eine Sammlung arbeiten würde.
Zielt Ihr Experimentieren mit den Blicken darauf ab, ein Publikum zu schaffen?
Ich würde es nicht „ein Publikum schaffen“ nennen. Ich versuche vielmehr, ein neues Publikum zu erreichen. Die Arbeit von Raimundas Malasauskas im Rahmen des littauischen und zyprischen Pavillons bei der diesjährigen Biennale in Venedig ist ein gutes Beispiel dafür. Er richtet sie in einer Turnhalle ein, an einem für zeitgenössische Kunst ungeeigneten Ort. Wenn die Schule wieder anfängt, werden die Sportler vor einer Ausstellung stehen. Unsere Aufgabe im Bezug auf das Publikum ist natürlich auch zu vermitteln.
Kann man bei Ihrer Tätigkeit von einem Thema oder Stil sprechen?
Ja, ich interessiere mich für Kontexte und Gebiete. Ich versuche zu politischen und sozialen Fragen oder Rassenfragen Stellung zu nehmen, indem ich die Codes analysiere, die sich mir präsentieren. Wir leben in einer Gesellschaft, in der es Storytelling im Überfluss gibt; in der man uns dazu bringt, Geschichten zu glauben, die wir nicht erlebt haben. Diese Theatralik ist manchmal auch ein Problem, weil sie den Raum zwischen dem Echten und dem Fiktiven überdeckt. Genrefragen interessieren mich natürlich auch.
Was wäre für Sie ein gutes Beispiel zu diesem Thema?
Pauline Boudry und Renate Lorenz sind dafür empfänglich, finde ich. Donatella Bernardi und ich machen übrigens nächstes Jahr in Genf eine Ausstellung mit dem Titel „Smoking Up Ambition“, die sich mit „Relationship“- und Genrefragen beschäftigt.
Warum das englische Wort „relationship“?
Ich finde, es steht für freundschaftliche und berufliche Beziehungen. Das französische „relation“ bezeichnet eine Liebesbeziehung.
Können Sie Ihre Tätigkeit aus mechanischer Sicht beschreiben? Was wäre Ihre Aufgabe, wenn Sie eine Maschine wären?
Ich wäre eine Vorschlag-Maschine. Ich verstehe mich nicht als Ideenbeschleunigerin. Meine Aufgabe ist es, zu formulieren oder einfach Form zu geben.
Wie wichtig ist die Schaffung neuer Werke im Rahmen Ihrer Projekte?
Sehr wichtig. Idealerweise gebe ich einen Rahmen vor und die Künstler beziehen Stellung, ergreifen Besitz. Entsprechend der Situation sind die Produktionskraft und das Budget mehr oder weniger beachtlich. Bei „On n’est pas sorti de l’objet“, einer Zusammenarbeit mit Ann Guillaume in Bourges, wurden 90 % der Werke eigens dafür geschaffen. Das ist enorm! Für mich besteht die Herausforderung immer darin, dem Künstler innerhalb des Kontextes größtmögliche Schaffensfreiheit zu gewähren.
Wenn man zum Schaffen auffordert, ist die Kontrolle des Kurators über den Diskurs natürlich eine andere …
In diesen Fällen greife ich nur sehr selten ein. Wenn wir uns erst einmal auf das Thema geeinigt haben, liegt das, was dabei herauskommt, in der Hand des Künstlers.
An welchem Punkt Ihrer Laufbahn kam der Gedanke an „Konservierung“ auf?
Ich habe eine akademische Laufbahn. Während meines Studiums der Kunstgeschichte tauchte dieses Konzept sehr schnell auf; es gehört als wissenschaftlicher Begriff zu jedem Museum
Inwiefern haben Sie heute damit zu tun?
Ganz konkret, üblicherweise beim Verleih von Werken oder wenn ich eine Ausstellung einrichte an einem Ort, der sich eigentlich nicht für Kunst eignet. Es gibt strenge Regeln und präzise Techniken dafür, wie man Objekte pflegen muss.
Sie sagen, dass Sie sich mit der Frage nach dem Gedächtnis beschäftigen. Sind die Parameter oder Probleme der Konservierung Teil dieser Überlegungen?
Auch hier nur aus praktischen Gründen. Die Verankerung in der Zeit interessiert mich an sich gar nicht so sehr. Mich interessiert, wie ein Künstler oder eine Künstlerin es schafft, das Gedächtnis zu aktivieren, und welchen Prozess, welche Referenz, welchen Code, welches Objekt er oder sie benutzt, um es zu erforschen. Die Frage nach der Spur ist Teil der Frage nach dem Gedächtnis, doch mich reizt eher das, was uns plötzlich in die Erinnerung eintauchen lässt, in das Erlebte oder die persönliche Erfahrung des Künstlers.
Wenn man das Wort „Kuratieren“ im Sinne des englischen Verbs „to care“ versteht, wie stehen Sie dann zum Begriff der Pflege?
Als Kuratorin beherrsche ich diesen Begriff in zweierlei Hinsicht. Erstens betrifft er bei einem Projekt die Beziehung zum Künstler und zu all denen, die die Schaffung von Kunstwerken ermöglichen. Und zweitens betrifft er den Aufbau einer Ausstellung, d.h. wie man die Arbeit, die man zeigen möchte, in Raum und Zeit unterbringt.
Stehen die Kuratoren im Dienste des künstlerischen Diskurses?
Das kommt ganz auf den Kontext an. Bei einer Solo-Show zum Beispiel geht es für mich darum, mit dem Künstler zusammenzuarbeiten. Für jedes Kunstwerk muss ein Raum eingerichtet werden, und dafür muss man einen sehr guten Kontakt zum betreffenden Autor haben. Bei einer Gemeinschaftsausstellung folgen die Künstler einem vorgegebenen Rahmen, und wir müssen eine Basis schaffen, auf der wir uns über die Ideen verständigen. Meine Arbeit besteht dann darin, für die Kohärenz des Ganzen zu sorgen.
Was versprechen Sie sich von einer Kunstmesse wie abc art berlin contemporary?
Ich will den Markt ausloten und eine Strategie für meine Herangehensweise entwickeln.
Arbeiten Sie auch als Kunsthändlerin?
Überhaupt nicht. Ich habe noch nie ein Kunstwerk verkauft … Ich habe nichts angerührt. Ich habe zwar die Entstehung einiger Werke ermöglicht, doch sie gehörten immer den Künstlern. Auf einer Messe wundere ich mich immer über das Interesse der Kunstsammler und die Angebote von Künstlern angesichts dieses Wahnsinns oder die Marktkräfte.
Welche Presseerzeugnisse konsultieren Sie regelmäßig?
Ich lese Le Monde, ich höre viel Radio, France Inter und France Culture. Zum Thema Kunst lese ich im KunstForum im Internet, aber kaum französische Zeitschriften.
Und weniger aktuelle Werke, die Sie beeinflussen?
Das Werk von Virginia Woolf, das ich erst spät, für mich entdeckt habe, welches mich dann aber umso mehr beeinflusst hat . Ansonsten „White Flag“ von Jasper Johns, ein Meisterwerk. Und schließlich die Schriften von Hans Ulrich Obrist, insbesondere „A Brief History of Curating“, weil er die Geschichte immer wieder verschiebt und umformuliert, sowie das Engagement von Ute Meta Bauer zum Thema der Transdisziplinarität und zum Feminismus.
Waren Sie schon einmal in Berlin?
Ja, anlässlich der Ausstellung „Ready for fatality?“, die ich im Oktober und November 2012 im Note On durchgeführt habe, einem alternativen Projektraum für zeitgenössische Kunst.
Was erhoffen Sie sich von dem Projekt JEUNES COMMISSAIRES, welches das Büro für Bildende Künste ins Leben gerufen hat?
Bereichernde Bekanntschaften zu machen, Kontakte zu knüpfen, die vielleicht in Projekte (beliebiger Form) münden und vor allem meine Kenntnisse der Berliner Kunstszene zu erweitern.
Fotos von Marlen Mueller | Interview von Jeanne-Salomé Rochat