Interview mit Karima Boudou

An welchem Punkt Ihrer Laufbahn kam der Gedanke an „Konservierung“ auf?
Ich habe ein klassisches Studium der Kunstgeschichte absolviert. Während meines Masters in Konservierung, in Rennes, begegnete mir dann dieses Vokabular, also in einem sehr akademischen Umfeld.

Wenn man das Wort „Kuration“ im Sinne des englischen Verbs „to care“ versteht, wie stehen Sie dann zum Begriff der Pflege?
Meiner Meinung nach sind die Aufgaben eines Kurators die gleichen wie die des klassischen, herkömmlichen Verwalters, mit dem Unterschied, dass der Kurator heute immer mehr im Vordergrund steht. Durch den Parameter Unabhängigkeit verändert sich vieles.

Inwiefern ändert sich die Wahrnehmung der Künstler durch diese Veränderung?
Sie fragen sich vielleicht, inwiefern ihre Arbeit instrumentalisiert wird oder ob man versucht, sie in eine „Schublade“ zu stecken. Dieses Vorurteil gibt es bei aufstrebenden oder etablierten Künstlern, selbst wenn man sich kennt. Das kommt vor, damit muss ich leben.

Wie gehen Sie mit dieser Hierarchie um?
Ich arbeite für L’appartement 22 in Marokko, sowie als freie Kuratorin in verschiedenen Situationen. Ich habe deshalb mit verschiedenen Kontexten zu tun und muss mich jedes Mal in eine andere Hierarchie hineinfinden. Manchmal ist alles sehr streng organisiert, manchmal sehr flexibel.

Würden Sie sagen, dass Sie dem Diskurs des Künstlers dienen?
Ich denke, manche Kuratoren wollen dem Kunstwerk durch das Diskursive einen zusätzlichen Wert „verleihen“ und legen viel Wert auf Interpretationen. Andere Kuratoren arbeiten mehr mit dem, was bereits vorhanden ist.

Auf welcher Seite in diesem Gleichgewicht sehen Sie sich derzeit?
Eher auf der zweiten. Meine Arbeit besteht darin, zu begleiten, aufzuklären, die Arbeiten des Künstlers zu lesen.

Sie stellen sich als „freie Kuratorin“ vor. Wie kommt das in Ihrer eigentlichen kuratorischen Arbeit zum Ausdruck?
Dieses Merkmal impliziert mehr Spielraum beim Kontext, in dem man arbeitet. Ich hinterfrage meine Zugehörigkeit zu dieser oder jener Institution und bin immer sehr selbstkritisch, um meine Projekte lebendig zu gestalten.

Sie entwickeln eine andere kritische Haltung, je nachdem, wo Sie sich befinden?
Ja, ich habe in Frankreich und Holland studiert und arbeite derzeit in Marokko. Ich interessiere mich ganz allgemein sehr für Künstler, die in der Fortsetzung der Institutionskritik der Neunzigerjahre arbeiten, so wie zum Beispiel der Franzose Matthieu Laurette; auch interessiere ich mich für Künstler, die verschiedene Lesarten der Geschichte anbieten, durch Prozesse wie die der Aneignung, der Collage, der Zitation oder aber auch  durch das Abtreten ihrer Arbeit und Rolle des Künstlers … Mit meinen Einladungen möchte ich selbst etablierten Künstlern Gelegenheit geben, eine Bilanz ihrer Arbeit zu ziehen. Ich betrachte das als eine meiner Aufgaben als Kuratorin.

Sie bringen die Künstler dazu, Projekte zu verwirklichen, die ohne Sie vielleicht nicht möglich gewesen wären. Haben Sie vor, irgendwann eigene Räumlichkeiten zu eröffnen?
Ja, das würde mich schon interessieren. Für die nächsten Jahre plane ich, zwischen verschiedenen institutionellen Bereichen zu pendeln und meine Arbeit zu verfestigen. Wenn sich die Gelegenheit bietet und ich mir meiner Richtung sicherer bin – warum nicht?

Sie sprechen von „Richtung“. Erwarten Sie von den Künstlern auch, dass sie Sie in Frage stellen?
Ja, natürlich. Am Institut Français in Amsterdam habe ich eine Ausstellung organisiert mit dem Titel “ Ce lieu n’est pas la maison de Descartes“ („Das hier ist nicht das Haus von Descartes“). Ich habe dort ein Klangkunstwerk von Adrian Piper präsentiert, in dem sie 40 Minuten lang Bachkantaten pfeift. Irgendwann beginnt sie Fehler zu machen, sie kommt außer Atem usw. In dieser Arbeit spiegele auch ich mich wider, meine Subjektivität. Ich versuche gewissermaßen, mich auf subtile Art in die Arbeit einzubringen, und delegiere mein autobiografisches Interesse als Resonanzkörper an die Künstler ohne jedoch die Integrität ihrer Arbeiten zu erreichen …

Steckt in dieser Haltung eine performative Dimension?
Mit Sicherheit. Das große Interesse der Medien an meinem Beruf trägt dazu bei.

Wenden wir uns dem Publikum zu. Was wollen Sie da erreichen?
Die Künstler vertrauen mir ihre Werke an und ich betrachte mich dadurch als verantwortlich für ihren Diskurs und dafür, eine Verbindung zum Publikum herzustellen. Das ist nicht wenig. In meinem Fall hängt das Verhältnis zum Publikum stark von der Situation ab. Manchmal gibt es nur wenige echte Besucher, aber viele virtuelle, und manchmal ist es umgekehrt. Ein Publikum zu gewinnen wird manchmal als Bedingung dafür gesehen, dass ein Projekt Erfolg hat. Um es mal knallhart auszudrücken: Die Investition muss sich rentieren. Ich denke, als Kurator muss man beim Inhalt unnachgiebig sein und versuchen, mit diesen Dingen irgendwie umzugehen. Meine Ausstellungen richten sich üblicherweise an ein möglichst großes Publikum.

Sie haben schon einmal mit dem Institut Français zusammengearbeitet.
Ja, das stimmt. Das Institut Français hat mir seine finanzielle Unterstützung gewährt bei meiner Ausbildung zur Kuratorin im De Appel in Holland. In meinem Fall, da ich in Marokko lebe, sind Mobilität und Vernetzung von großer Bedeutung. Das Institut Français bietet mir die Hilfsmittel dafür, das ist sehr viel wert. Der Workshop diese Woche hier in Berlin ist die erste Etappe einer Begegnung mit anderen französischen Kuratorinnen und von daher sehr interessant. Außerdem kenne ich die Berliner Kunstszene noch nicht, abgesehen vom Ruf, der den großen Institutionen vorauseilt. Es verspricht eine spannende Woche zu werden.

Ist der Kontext der abc-Kunstmesse stimulierend?
Ich arbeite mit und interessiere mich für Künstler, die die Verbindungslinien zwischen der Kunst und dem Markt in ihrer Arbeit erforschen, und die den Kontext zeitgenösssischer Kunst als ein in wirtschaftlicher Hinsicht profitables Terrain begreifen, ebenso wie für den kritischen Diskurs nutzen. In der Hinsicht habe ich keinerlei Komplexe. Viele Kuratoren vertreten die Meinung, dass eine Dichotomie zwischen Markt und Ideen besteht, aber darauf kann man es global nicht reduzieren, meiner Meinung nach.

Man spricht von der „Gefahr“, dass die kuratorische Absicht von wirtschaftlichen Interessen instrumentalisiert wird.
Ja, aber ich nehme an, dass das wirklich auf den Kontext ankommt, auf den Kurator, die Prioritäten. Ich sage es noch einmal, ich habe keinerlei Problem mit der Koexistenz dieser beiden Welten. Wenn die Arbeit gut ist, verdient der Künstler es, ausgestellt zu werden. Das Übrige erscheint mir wie eine natürliche Fortführung und ist ein interessantes Thema.

Was erhoffen Sie sich von dem Projekt „Jeunes Commissaires“, welches das Büro für Bildende Künste / Institut Français ins Leben gerufen hat?
Es gibt mir die Möglichkeit, mich weiter beruflich zu vernetzen. Es ist eine gute Gelegenheit, um Bekanntschaften zu machen, Menschen zu begegnen und auch, um mehr langfristige Projekte und Kooperationen aufzubauen.

Fotos von Marlen Mueller | Interview Jeanne-Salomé Rochat