Marlène Perronet © Frank Kleinbach

Interview mit Marlène Perronet

Du hast ein Jahr an der Akademie Schloss Solitude Stuttgart im Rahmen einer Kunstkoordinationsresidenz, die vom Programm Jeunes Commissaires des Institut français unterstützt wird, verbracht. Was konntest Du aus dieser Erfahrung mitnehmen?
Die Momente, die ich mit den Residenten und dem Team der Akademie Schloss Solitude geteilt habe, haben mir gewaltig viel gegeben. Die Zusammenarbeit mit ihnen hat meine Kenntnisse im Bereich Management internationaler Projekte erweitert.

Was hat Dich motiviert, an diesem Residenzprogramm teilzunehmen?
Die Interdisziplinarität der Akademie spielte eine sehr entscheidende Rolle. Ihre Stipendien richten sich an Künstler, Designer, Architekten, Schriftsteller, Performance-Künstler, Komponisten sowie auch an Forscher. Das Bestehen eines „Art, Science & Business“ Bereichs zeigt die von der Akademie adoptierten globalen Sicht.
Die finanziellen und logistischen Mittel, die uns zur Verfügung gestellt wurden,  waren natürlich auch von Vorteil.
Aus persönlicheren Gründen schätzte ich übrigens die Idee, während eines Jahres an einer sog. Gemeinschaft teilzuhaben. Ich sah diese Erfahrung als eine Gelegenheit, meine Ausdauer und professionelle Unabhängigkeit auf die Probe zu stellen.

Wie waren Deine Beziehungen zu den Künstlern der Akademie?
Ich habe die wöchentlichen „internen Präsentationen“ organisiert. Jede Woche war einer der Residenten dazu eingeladen, sich den Anderen vorzustellen. Ich bereitete dieses Gespräch mit den Betroffenen vor, und leitete es dann ein.
Mit einigen Künstlern arbeitete ich enger zusammen, zum Beispiel im Rahmen der Organisation von Veranstaltungen im Offspace der Akademie im Stadtzentrum Stuttgarts. Oft habe ich den Auftakt der Zusammenarbeit von Residenten ganz unterschiedlicher Hintergründe miterlebt.

Auf welche Themen bezieht sich Deine Arbeit?
Ende 2011 schloss ich mich der deutsch-französischen Organisation Fugitif Leipzig, die junge Akteure der zeitgenössischen Kunstszene zusammenbringt, an. In diesem Rahmen beschäftige ich viel mit der Dynamik künstlerischer Zusammenarbeit, sowie mit der Praxis der Kunstvermittlung.
Zurzeit arbeite ich an einem Projekt, das vom Institut français und von der Akademie Schloss Solitude unterstützt wird, mit dem Choregraphen Paul Wenninger und dem Komponisten Peter Jakober, der auch Resident der Akademie war. Ausgehend von ihrem gemeinsamen Projekt „Dingen“ habe ich eine Reihe öffentlicher Veranstaltungen entwickelt (Konzert, Ausstellung, Konferenz), die anhand unterschiedlicher Medien den Begriff informierter Körper thematisieren. Dieses aus vier Teilen bestehende Projekt wird im Juli 2014 bzw. während des Festivals „Sommer in Stuttgart“ zu sehen sein.

Was wäre für Dich die ideale Beziehung zwischen Künstler und Kurator?
Diejenige, die Dialog und Reflexion ohne Machverhältnis ermöglicht und auf Dauer angelegt ist. Ich mag die Idee, professionelle Beziehungen zu den Künstlern, wie auch kritische Auseinandersetzungen zu haben, schätze aber auch den herzlichen Kontakt. Es bedeutet mir viel, wenn die Künstler meine Arbeit anerkennen. Kurz und gut: in einer idealen Beziehung schätzt jeder den Wert der Arbeit des Anderen, auch wenn sie manchmal unbezahlt bleibt.

Wer oder was hat Dich dazu beeinflusst, als Kuratorin zu arbeiten?
Als ich damit angefangen habe, mich über den Beruf des Kurators zu informieren, sah ich eine dicke gläserne Decke. Viele Frauen arbeiten an Koordinationsstellen und die Männer in Führungspositionen. Jedoch bleibt der Beitrag von Frauen inhaltlich von großer Bedeutung.
Die Seminare und Konferenzen von Guillaume Désanges, Jean-Yves Jouannais ou Elvan Zabunyan haben mir dabei geholfen,  andere akademische Wege als die Hochschulen für „conservateurs du patrimoine“ einzuschlagen.
Auch die Seminare von Fareed Armaly an der „Ecole du Magasin“, in denen ich mich mit den Methoden von Ras Media Collective und Ute Meta Bauer auseinandergesetzt habe, waren für meine Berufswahl entscheidend.

Welche Rolle spielt die Frage des Betrachters in der Reflexion über Deine verschiedenen Projekte?
In meinen Überlegungen trenne ich das Projekt von seiner Rezeption nicht. Mich interessieren der Kontext der Ausstellungen und die Kunstvermittlung. Ich versuche auch die Gründe, aus denen Künstler nicht alle Schlüssel zum Verständnis des Werkes mitteilen, zu verstehen – und forsche nach Wegen, ohne diese auszukommen.

Das Wort „Kurator“ bezieht sich auf den englischen Begriff „to care“. Worum sorgst Du Dich – in diesem Sinne – als Kuratorin?
Ich sorge dafür, dass die Veranstaltungen gut verlaufen. Dazu gehören verschiedene Tätigkeiten: ich initiiere Projekte, versuche das Interesse verschiedener Akteure zu erregen, suche nach Finanzierungen, bin für die Kommunikation zuständig, frage mich, wen das Projekt interessieren könnte und warum, usw.

Siehst Du Dich als eine unabhängige Kuratorin?
Ob ich mich als Kuratorin betrachte hängt stark vom Kontext ab.
Unabhängig im Sinn, dass ich freelance arbeite, ja. Ich bin nämlich nicht fest angestellt und meine Projekte, meine Beschäftigung und mein Einkommen hängen von Ausschreibungen und der Suche nach Finanzierungen ab.
Neben den Produktionsbudgets muss ich Geld, um mich selbst zu bezahlen, finden.

Hast Du in Zukunft vor, deinen eigenen Ausstellungsraum – vielleicht eine Galerie – zu eröffnen?
In den kommenden Jahren möchte ich flexibel bleiben. Gewissermaßen ist die Mobilität, die für meine Arbeit grundlegend ist, der Ankerpunkt zur beruflichen Entwicklung. Für eine bestimmte Zeit könnte ich mich, solange da Berufsverhältnis nicht zu verbildlich wird, an einer Galerie anschließen.

Marlène Perronet
Im Jahr 1978 in Toulouse geboren, arbeitet in Wien.
Marlène Perronet absolvierte ein Magisterstudium im Bereich moderne Literatur im Jahr 2004 an der Universität Paris 3 und ein Masterstudium in bildender Kunst im Jahr 2006 an der ENSA-Cergy.
2009 nahm Sie an der achtzehnten Sitzung der École du Magasin in Grenoble teil, um ein Jahr später an dem vom armenischen Büro AICA (International Association of Art Critics) in Eriwan organisierten Summer Seminar for Curators beizuwohnen.
Sie hat verschiedene Projekte in Frankreich, in Deutschland und in Russland koordiniert und organisiert, bevor sie sich 2011 der deutsch-französischen Organisation Fugitif (Leipzig) anschloss.
Im Jahr 2013 war sie Residentin in der Akademie Schloss Solitude in Stuttgart.

Bild: Marlène Perronet. © Frank Kleinbach