Rezension der Einzelausstellung von Rene Matić AS OPPOSED TO THE TRUTH im CCA Berlin
Von Alexia Pierre – Teilnehmerin des Programms „Rendez-vous: Treffen von Direktor*innen und Kurator*innen aus deutschen und französischen Kunstzentren“, das im November 2024 vom Büro für Bildende Kunst des Institut français Deutschland organisiert wurde.
“I do look at love so much in my work, as a way of surviving
and trying to find a way out of this kind of chaos”
– Rene Matić (von Emma Russel, i-D, Okt. 2023)
Uns empfängt das blutrote Leuchten der Neonröhren am Eingang des Center for Contemporary Arts (CCA), eine weitere Station unseres vor wenigen Stunden begonnenen Berlin-Marathons, das einen deutlichen Kontrast zu dem blauen Licht der Fenster aus Glasbausteinen bildet, das von draußen durchschimmert. Die modernistische Architektur des Gebäudes, eine Betonwabe, die an die neue Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche angrenzt, und die Einrichtung mit Holzmöbeln verleihen dem Raum eine Atmosphäre der Dualität: kühle Funktionalität und Ehrfurcht vor dem Erinnern treffen hier aufeinander, die unpersönlich-bürokratische Schlichtheit dieses ehemaligen Foyer-Gebäudes scheint hier mit häuslicher Wärme verwoben.
Nach nur wenigen Schritten durch den minimalistischen Korridor, der die Umrisse des kubischen Kunstzentrums markiert und zu den Ausstellungsräumen führt, sieht man in einem kleinen Separee einen hellen, weit geöffneten Holzschrank. Dieser enthüllt eine Sammlung von Puppen mit schwarzer Hautfarbe, die liebevoll auf den Schrankböden arrangiert wurden und uns anstarren.
Mit diesem ersten Werk beginnt die Ausstellung AS OPPOSED TO THE TRUTH. Es ist die erste Einzelausstellung der britischen, in London ansässigen Künstlerin Rene Matić (geb. 1997 in Peterborough, GB) in Deutschland. Fotografien, Filme, Texte und Installationen werden nebeneinander präsentiert, sie überschneiden sich, um daraus eine ausgesprochen persönliche Kunst zu machen, mit der die Künstlerin Themen wie Identität, Subkultur, Glaube und Familie umreißt. Neben der Sammlung nimmt sich Matić mit Restoration (begonnen 2022) liebevoll dieser Puppen an, deren nachlässige Behandlung in ihren offensichtlichen Wunden und Narben offenbar wird und auf die Erfahrung des Vaters der Künstlerin verweist, der als Kind in Peterborough ausgesetzt wurde und bei den Skinheads eine Zuflucht fand. Diese Bewegung entstand in den 1960er Jahren und war anfangs durch Zusammenkünfte rund um die jamaikanische Musik unterschiedlicher Stilrichtungen wie Ska und Reggae geprägt. Bekräftigung der schwarzen Identität sowie der Glaube an die Liebe, die trotz systematischer Unterdrückung und Ausgrenzung fortbesteht und heilt, gehören somit zu den Grundlagen von Matićs Arbeit.
Kussszenen werden mit Graffiti verflochten, halbnackte Körper wilder Partynächte überlagern Transparente sozialer Bewegungen. Lichter der Nacht. Pausen, die die Fotografie der Zeit, dem Leben und der Künstlerin bietet. Die Fotografien der Serie Feelings Wheel (begonnen 2022) zeigen intime Momente, die gewählte Familie, Tanzszenen, Feiern, Demonstrationen. Die Spontanität dieser Aufnahmen spiegelt sich, transparent und fragil, in ihrer Präsentation zwischen Glasplatten wider, die einfach auf dem Boden stehen und scheinbar achtlos an die Wände des Raums gelehnt sind. Man muss nah an sie herantreten, in die Hocke gehen und sie wie auf der Suche nach einer CD durchstöbern. Daraus ergeben sich neue Überlagerungen der Motive, die so immer neue Geschichten erzählen. Auch die Stimmen vermischen sich, fügen sich neu zusammen. „Lift me up / Keep me safe, safe and sound.“1 Rihannas Stimme folgt auf die von James Baldwin und bell hooks, deren Stimmen wiederum mit persönlichen Gesprächen, Nachrichtenfragmenten und den Glocken der nahegelegenen Kirche verschmelzen. Dieser Dreiklang mit dem Titel 365 (2024) zeigt die charakteristische Zersplitterung unserer Gesellschaft auf und wird in einem winzigen Tanzsalon für Ballroom Dancing gehört. Der Körper steht dabei im Mittelpunkt und wird in neonrotes Licht getaucht.
Die ebenso behutsame wie radikale Arbeit von Rene Matić unterstreicht die Verletzlichkeit der Intimsphäre, fordert den Glauben an das, was uns in der uns umgebenden Gewalt erschüttert und wieder aufstehen lässt. Der in ihren Werken zum Ausdruck kommende Wunsch – das Bedürfnis? – nach Liebe fügt sich ein in diesen intimen Rahmen des CCA und seine bedeutungsvolle geografische Lage: ein Mahnmal des Friedens und der Aussöhnung. Die Installation Untitled (No Place for Violence) (2024), eine Fahne, die den größten Raum der Ausstellung im Grunde in zwei Hälften teilt und auf der die Worte „No Place“ (Vorderseite) und „For Violence“ (Rückseite) stehen, trifft mit Ironie und Symbolik den Nagel auf den Kopf. Kopf oder Zahl?
Zeit zur Besinnung an einem Ort, durch eine künstlerische Praxis; durch ein vielfältiges Programm an Besuchen und Begegnungen schien die Zeit stillzustehen. 15 Einrichtungen in 10 Städten – hier lege ich jetzt eine Pause ein.
Foto credit: Rene Matić AS OPPOSED TO THE TRUTH Installation view CCA Berlin 2024-25 Photos Diana Pfammatter-CCA Berlin
1 Ausschnitte aus dem Song „Lift Me Up (From Black Panther: Wakanda Forever“ (2022) von Rihanna