Workshop: Social Context

David Hammons, Shoe Tree, 1981

David Hammons, Shoe Tree, 1981

Workshop In Extenso – Erweitert : Sozialer Kontext, 25. September 2014 im Deutschen Architektur Zentrum, mit:

– Karima Boudou, Kuratorin
– Jörg Stollmann, Architekt und Professor
– Bani Abidi, Künstlerin
– Cathy Larqué, Leiterin des Bureau des arts plastiques
– Matthias Böttger, Kurator im Deutschen Architektur Zentrum

Die Kunstgeschichte ist eine Ballung von Räumen. Wie die Einzelteile einer Uhr wird jedes Monument vorsichtig dort platziert, und das, was es erzählt, dreht sich immerzu um die Künstler und deren Hintergrund. Man meint, den Werken der Künstler viel Sinnhaftigkeit verleihen zu können, indem man sie bestimmten Stätten, Räumen und Orten zuordnet: Herkunftsort und Exil, privater und öffentlicher Raum, soziales und politisches Umfeld, Ort des Austauschs und des Handels, Grenzen der Ethik und des Urteils, akademischer und institutioneller Bereich, Grenzen zwischen Mainstream und Underground, in situ und ex situ.

Die Benennung dieser Räume wird oft verbunden mit Schulen und Stilen, mit Netzwerken und Einzelpersonen, mit bestimmten Gegenständen und kurzen oder langen Geschichten. Indem man versucht, den „Werdegang“ eines Künstlers nachzuzeichnen, glaubt man besser zu verstehen, was ihn geformt hat und was ihn zu seiner Kunst veranlasst hat. Indem man sich seinem „Herkunftsort“ nähert, glaubt man, seinen Ausgangspunkt eingrenzen zu können.

Was aber, wenn der Künstler eine widersprüchliche, nicht kontinuierliche Beziehung zu seiner Herkunftsstätte hat? Die pakistanische Künstlerin Bani Abidi schleudert uns mit ihren engagierten Fotos und Videos in labyrinthartige, zerstörte oder verlassene Räume. Ihre Arbeit – eine Mischung aus Performance, Fiktion und Dokumentation – lädt zum Nachdenken ein über kolonisierte, geteilte, im Konflikt befindliche oder gar zerstörte Länder und deren Bezug zu den Massenmedien. Es stellt sich die Frage danach, wie ein Bezug zwischen der Kunst und dem Ort entstehen kann. Wir folgen einem Mann durch eine Kino-Ruine. Wir stehen in einer Schlange mit Menschen, die geduldig darauf warten, kontrolliert zu werden. Das Temporäre eines jeden Ortes, die Endlichkeit der architektonischen und menschlichen Räume werden so verdeutlicht.

Der Architekt Jörg Stollmann regt an, sich mit den Räumen zu befassen, die dem Künstler eigen sind: mit dem biografischen Kontext des Autors und dem Kontext, indem er sein Werk ansiedelt. Es stellt sich dabei die Frage nach ihrer Funktion im Prozess der Neuerung. Welchen Anteil hat die Erfahrung an der Schaffung eines neuen Produktes oder Ortes? Die Kunst, wie auch die Architektur, erscheint als geeignetes Mittel, die vermeintlich perfekte Gleichung vom Raum und Kausalität ins Wanken zu bringen: hinsichtlich der persönlichen und historischen Biografien ebenso wie hinsichtlich der Rezeption von Interventionen in einem speziellen Kontext.

Die Kuratorin Karima Boudou äußert den – modernistischen – Begriff des Monuments, vertikal und fest, im Hinblick auf die Möglichkeit für den Zuschauer oder „Nutzer“, sich in ein Kunstwerk einzubringen. Es stellt sich folgende Frage: Wie schafft man Einmischungsmöglichkeiten für den Menschen, die sich nicht nur auf den künstlerischen Raum auswirken, sondern auch auf das Leben in einer Stadt, einer Gesellschaft, einer Bevölkerung? Indem Boudou den amerikanischen Künstler David Hammons als Beispiel anführt, betont sie, dass ein Zusammenbruch – oder zumindest eine Neuorganisation – der Vormachtstellung des Monuments durch künstlerisches oder architektonisches Wirken möglich ist, und dass die verschiedenen Sprachen, die ein Werk umgeben, dem Teilen dienen, zum Verstehen einladen und vielleicht auch zur Teilhabe am Diskurs. Es wird angemerkt, dass der Begriff Kontext niemals als gesichert und transparent gelten kann, ebenso wenig wie die zahlreichen Macht- und Einflussmechanismen, die man mit einem Ort verbindet, wie z.B. Gefühle, Institutionen, Politik, Kommerz.

Dem privaten Raum, als Gegenpart zum „öffentlichen“ Raum, kommt bei der Betrachtung des sozialen Raums im Allgemeinen eine besondere Bedeutung zu. Traditionell wird diesem eher hermetischen privaten, häuslichen Raum der öffentliche Raum entgegengesetzt, dem – zusammen mit den Architekten und Stadtplanern – die Aufgabe zukommt, der Zivilgesellschaft eine Form, einen Raum zu geben und sie zu repräsentieren. Gleichzeitig ist es Aufgabe des privaten, bürgerlichen Raumes, die Familie mit ihren Hierarchien zu schützen oder gar zu idealisieren. Die typischen Vorstadt-Wohnviertel sind das beste Beispiel für dieses Konzept; sie liegen isoliert am Rand der chaotischen Stadt und geben sozialen Problemen (Schicht, Herkunft, Rasse) auf diese Weise Form, Raum und Zeit.

Ob diese typische Struktur heute noch Bestand hat, ist zu bezweifeln. Durch das Streben nach wirtschaftlichem Gewinn zieht es den Einzelnen eher in das Stadtzentrum als an den Stadtrand, da er dort am städtischen, kosmopolitischen Leben der Gesellschaft teilhat. Karima Boudou merkt hierzu an, dass man beobachten muss, wie diese Dynamiken es den Künstlern ermöglichen – oder erschweren – ihr Wirken in das Leben der Gesellschaft zu integrieren. Jörg Stollmann ergänzt, dass diese Feststellung auch für Stadtplaner und Architekten gilt.

Die Zuteilung von Räumen an Gemeinden gehorcht oftmals politischen und moralischen Strukturen und wird von einem mehr oder weniger starken Wunsch nach Kontrolle genährt. Man will die verschiedenen Gruppen in ihren jeweiligen Räumen verortet wissen und ihre Ausbreitung regulieren können. Der Mehrdeutigkeit einer jeden Struktur, eines jeden Ortes wird nur wenig Raum gegeben, oft zugunsten eines völlig unangebrachten Oberflächen-Formalismus.

Auf kritische Weise beschäftigten sich in den Siebzigerjahren die Strömungen der „Earth Art“ oder „Land Art“ mit dieser Frage. Sie gingen entschieden die Probleme der site-specific art und des konzeptuellen Wirkens allgemein an. Sie ermutigten die Künstler, den Reichtum der Natur und der Rohstoffe zu nutzen, Landkarten, Landschaften und deren Bewohner mit einzubeziehen.

Es zeigt sich heute wieder, dass Kunst und Künstler und vergleichbar auch Architektur und Architekten Körper und Räume besser miteinander verbinden könnten, wenn makroskopische Umweltparameter und die persönliche Erfahrung des Einzelnen in die kuratorische Tätigkeit einfließen.

Karima Boudou zitiert Laurence Kimmel, die den zeitgenössischen Tanz als eine „Abfolge von Ungleichgewichten“ beschreibt. Wäre es da nicht vielleicht an der Zeit, nach einer „Revolution in Bewegung“ zu streben? So könnte man an allem teilhaben, was in der weiten Welt vorgeht, ohne vorrangig über konkrete Interpretationen nachzudenken. Und würden Künstler und Architekten, wenn man neue Anziehungspunkte und neue Ungleichgewichte schafft, nicht eher versuchen, vor allem unsere sozialen Wahrnehmungen zu verändern, anstatt neue Objekte zu konzipieren, und so neue Kontexte entdecken?

Text: Jeanne-Salomé Rochat