WORKSHOP: PUBLIC SPACE

Workshop In Extenso – Erweitert: Public Space, 27. November 2014 im Deutschen Architektur Zentrum, mit:

– Yildiz Aslandogan, Architektin
– Fabien Bidaut, Architekt
– Alicia Frankovich, Künstlerin
– Judith Lavagna, Kuratorin
– Aude Pariset, Künstlerin
– Joanne Pouzenc, Architektin
– Cailen Pybus, Architekt
– Tanya Ostojic, Künstlerin
– Vanessa Safavi, Künstlerin
– Cathy Larqué, Leiterin des Bureau des arts plastiques
– Matthias Böttger, Kurator im Deutschen Architektur Zentrum

Der „öffentliche Raum“ besteht aus architektonischem Funktionalismus, städtebaulicher Planung, offiziellen Reden und spontanen Äußerungen/Aktionen, die mittlerweile auch eine nicht zu vernachlässigende virtuelle Dimension haben. Er ist mehr denn je ein geteilter Raum, in dem neue globale Kulturen und Subkulturen entstehen. Hier scheiden sich die Geister und es gibt widersprüchliche Ansichten dazu, ob diese Prozesse als Auf- oder Abwertung zu verstehen seien. Céline Poulin untersucht diese Entwicklung anhand einer Reihe von Schlüsselwörtern und im Gespräch mit den folgenden Künstlern, Kuratoren, Aktivisten oder Architekten: Yildiz Aslandogan, Fabien Bidaut, Alicia Frankovich, Judith Lavagna, Aude Pariset, Joanne Pouzenc, Cailen Pybus, Tanja Ostojic und Vanessa Safavi. Jeder der Workshop-Teilnehmer hatte Gegenstände, Bilder, Texte oder Anekdoten parat, um daraus gemeinsam eine Begriffskonstellation zu erschaffen und den Raum mit sprachlichen Mitteln abzubilden. Das Gespräch dreht sich um die Begriffe Kunst, Stadtraum, Privatheit, Kommunikation, Ethik, Positionierung… Gesprochen wird vor allem darüber, dass jeder für sich den öffentlichen Raum auf verschiedene Arten wahrnimmt: Er wird geteilt, erlebt, durchquert, besetzt, es ist ein utopischer, alternativer Raum, der beschädigt, beherrscht und verändert wird, es ist ein realer oder fiktionaler Raum, virtuell oder auch nicht… Auf jeden Fall ist es ein Raum für individuelle oder kollektive Projektion. Nachfolgend ein Auszug der Gedanken und des Austauschs zu einigen der thematisierten Begriffe.

ANONYMITÄT.
Gestattet es der öffentliche Raum, die Identität eines Menschen auszulöschen, wenn er sich selbst oder durch ein Kunstwerk zur Schau stellt? Die Auslöschung wird von einigen als positiv empfunden (der Künstler als bloßer Übermittler einer höheren Botschaft), von anderen als negativ (Verschwinden der Einzigartigkeit). Gestattet es die ständige Zurschaustellung, auch durch die neuen Formen des sozialen Miteinanders, die Grenzen des Individuums zu erweitern und seine Sichtweise zu verbreiten? Oder geht vielmehr der Einzelne dadurch in der Masse unter? Die Nutzung eines sogenannten unpersönlichen Ortes – eines öffentlichen Platzes, einer Mauer, eines digitalen Mediums – kann das ganz Persönliche einer Sichtweise unterstreichen und umgekehrt. Es ist die Rede davon, „maskiert das Wort zu ergreifen“ und die möglichen Spannungen zwischen privat und öffentlich dazu zu nutzen, Offensichtliches und Verbote und Tabus gegen sich selbst zu kehren und so zu neuen Ansätzen zu gelangen. Es wird über Suzanne Lacy gesprochen und den Gedankengang der Künstlerin bei In Mourning and In Rage: von der Konzeption eines Ausdrucks in den Räumen einer Galerie über die Botschaft auf der Reklametafel bis zu Äußerungen auf der Straße von Teilnehmerinnen und Projektbeteiligten (https://www.youtube.com/watch?v=idK02tPdYV0).

TRANSPARENZ.
Wie kann man die riesigen digitalen Räume heutzutage eingrenzen? Begründen sie ein neues „menschliches Maß“ hinsichtlich der Privatsphäre, Messbarkeit und Erlebbarkeit? Die Künstler gehen auf diese Frage ein, sie bringen mögliche neue Vermischungen von privat und verschlossen, von offen und öffentlich ins Spiel. Es gibt eine hitzige Diskussion, als die Sprache auf das Berliner Projekt von Dries Verhoeven, Wanna Play?Love in Times of Grindr, kommt. Besonders betont werden unsere unterschiedlichen Auffassungen vom virtuellen Raum als öffentlichem Raum und die ideologischen Positionierungen, die dem zugrunde liegen. Die Bildschirme, die unseren Alltag beherrschen, und die dazugehörigen Apps und Programme lassen Verbindungen zwischen einer Vielzahl von Bereichen entstehen. Diese scheinen oft nichts miteinander zu tun zu haben und ihr Zusammentreffen hat gleichermaßen problematische wie faszinierende Folgen.

EIGENTUM.
Die schwierige Eigentumsfrage ist für die Definition des öffentlichen Raums von großer Bedeutung, da sie starken Einfluss darauf hat, wie wir einen Ort wahrnehmen: Wem gehört er? Wer ist dafür zuständig? Ist ein öffentlicher Raum ein Raum, der dem Staat gehört, oder gehört er im Gegenteil niemandem und somit allen? Es gibt privatisierte Räume im öffentlichen Raum, zum Beispiel Werbeflächen (http://www.referenceforbusiness.com/history2/59/JCDecaux-S-A.html). Eigentum ist auch eine gesetzliche Frage im Hinblick auf den freien Verkehr von Waren, Personen und Inhalten. Die Nutzung des Internet, Inbegriff des Freiraums, mag unseren Alltag revolutionieren, aber sie lässt auch Missbrauch zu, dem gesetzliche Strukturen kaum Einhalt gebieten können. Zu welchen Erkenntnissen führen fächerübergreifende Studien, die sich mit den Grenzen unseres Eigentums beschäftigen? Wie legt man die Grenzen dessen fest, was ein Kunstwerk als Phänomen ausmacht?

WIRKUNG.
Ausgehend vom heute herrschenden Kapitalismus ist es nur konsequent, wenn man den neuen Anforderungen zum Teilen des öffentlichen Raumes Rechnung trägt. Jeder punktuelle oder dauerhafte Beitrag hinterlässt Spuren. Wie überträgt man die Wirkung künstlerisch-sozialer Themen auf diesen Raum, der praktisch nie vollkommen frei, vollkommen umsonst oder vollkommen verfügbar ist? Die Installation von Aude Pariset 3 days after; Adeus, Ćao in einem halb leerstehenden Einkaufszentrum in Nevers wirft viele Fragen über das Wesen dieses Raums auf, der zwar privaten Unternehmen gehört, jedoch per definitionem auch ein öffentlicher Raum ist (vor allem als Ort der Repräsentation und des Zusammentreffens). Wenn wir davon ausgehen, dass jede Kunst auf Wirkung abzielt, ist es interessant, Vorgehensweisen zu beobachten, die im kulturellen Kontext aufgehen und sehr zurückhaltend sind, um nicht zu sagen: kaum wahrnehmbar oder unsichtbar. Sie verwirren die „Nutzer“ (Passanten, Zuschauer usw.), wenn sie die Form von Werbung oder funktionaler Architektur annehmen, um deren Doppeldeutigkeit zu betonen.

FREIHEIT.
Der Event-Charakter von Kunst im öffentlichen Raum wird immer wichtiger. Zum operationalen Vorgehen bei einem Kunstwerk gehört deshalb oft die Planung der Wirkung. Zweck dieser Planung kann die Eroberung oder Rückeroberung eines Ortes oder eines Publikums sein. Dieser Aspekt trübt die romantische Auffassung, dass der öffentliche Raum ein Ort sei, an dem die Freiheit der Meinung und des Ausdrucks zum Tragen kommen kann – oder muss. Das betrifft nicht die Äußerungen etablierter Machthaber, sondern individuelle und spontane Äußerungen. Die Bedingungen für die Entstehung von Kunstwerken, die von den Institutionen, die sie ermöglichen, definiert werden, tragen entschieden dazu bei, inwiefern wir den öffentlichen Raum als Freiraum wahrnehmen. Wenn eine Aktion explizit als Kunstwerk angekündigt wird oder im Verdacht steht, Kunst zu sein, ist ihre Wirkung dann in Frage gestellt? Eine Aktion hat als Bestandteil eines Kunstprogramms schließlich einen anderen Sinn, als wenn sie spontan im Alltag erfolgt. Manche Handlungen verlassen deshalb bewusst den Kunstbereich und lassen sich z. B. eher dem Aktivismus zuordnen. Es stellt sich daraufhin die Frage, wie das Projekt zu bewerten sei, wenn es im Kunstbereich wiederholt würde. Raivo Puusemps Projekt Beyond Art – Dissolution of Rosendale ist in verschiedener Hinsicht interessant. Der Künstler hat sich dafür entschieden, als Bürger in einem politischen Kontext aufzutreten und seine Aktion dabei im Einklang mit seiner konzeptuellen Praxis zu gestalten. Die schwierige Zuordnung dieses Beitrags zu einem bestimmten Bereich, zu einem bestimmten Raum (der Auftritt findet überwiegend, aber nicht ausschließlich im sprachlichen Raum statt) ist eine Grundvoraussetzung für das Projekt. Es wird betont, dass es notwendig sei, Zuordnungen und genaue Begrenzungen von Räumen und Konzepten zu vermeiden, denn je mehr man sich mit einem Objekt befasst, desto schwieriger wird es, seine Umrisse zu erkennen, wie Ariella Azoulay in ihrer Studie über den Begriff Revolution schreibt (http://www.politicalconcepts.org/revolution-ariella-azoulay/). Diese Schwierigkeit zeugt von der Komplexität des Objekts als solchem.

TRANSIT.
Wenn die Besetzung des öffentlichen Raumes einer festen Spielregel gehorcht, dann könnte eine Transit-Situation, ein Zwischenraum, ein Übergang eine passende Gegebenheit für die Schaffung eines Werkes mit gesellschaftlichem Bezug sein. Diese Form ist jedoch schwer zu erfassen und einzugrenzen, und die Aneignung lässt sich nur schwer bestimmen und das Eigentum unmöglich zuordnen. Wer kann einen Zwischenraum, einen beweglichen Raum für sich beanspruchen? Es steht allerdings fest, dass sich in einem Übergangsbereich immer die Frage nach der Zugehörigkeit und dem Eigentum stellt, in praktischer wie symbolischer Hinsicht. Beispiele aus der Politik zeigen, dass Übergangsbereiche oftmals Konfliktherde sind. Der Konflikt ist für Künstler eine fruchtbare Art der Begegnung, und wie Chantal Mouffe in einem Interview mit Markus Miessen sagt: „Wir müssen die allenthalben herrschende Einigkeit aufbrechen und zur Dynamik des Konfliktes zurückkehren.“ Es kann deshalb nicht nur darum gehen, einen Transitraum zu besetzen, es müssen vor allem Übergangsbereiche geschaffen werden, eine Art Niemandsland. Wie wird sich der Diskurs in einem Raum ohne spezifische, feststehende Eigenschaften entwickeln?