Ausstellungstipps: Gallery Weekend Berlin 2018

Empfehlungen von Judith Lavagna, freie Kuratorin in Berlin

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(c) Agora Collective

Beim diesjährigen Gallery Weekend würde ich keinesfalls die letzten Tage der Ausstellung Mess with Your Values im n.b.k. (Neuer Berliner Kunstverein) in Mitte verpassen. Die elf Preisträger*innen des Arbeitsstipendiums Bildende Kunst des Berliner Senats 2017 präsentieren ein Ensemble an Videoarbeiten, Fotografien und Installationen, die sich mit dem sozialen Wandel unserer gegenwärtigen Gesellschaft und dessen Paradoxien, politisch wie kulturell, auseinandersetzen. Besonders die Installation Only Paradoxes to Offer der französischen, in Berlin lebenden Künstlerin Nadira Husain, die von einer feministischen Science-Fiction-Novelle von Joanna Russ inspiriert ist und in der eine Frau die Macht der patriarchalischen Vorherrschaft durch die Geste eines Faustschlags herausfordert und außer Gefecht setzt.

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Nadira Husain, Only Paradoxes to Offer, Ausstellungsansicht Mess with Your Values, 2018, Neuer Berliner Kunstverein, 2018 © Neuer Berliner Kunstverein / Jens Ziehe

Das Video Tourneur der Berlinerin Yalda Afsah ist ebenfalls ergreifend. Die Kamera fokussiert die Bewegungen junger Männer in einem Stierkampf und es gelingt ihr, die Spannungen zwischen dem in die Falle gelocktem Tier und dieser Männergruppe in einem absurden Dekor von Schaum und aufblasbaren Konstruktionen noch zu erhöhen.

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Yalda Afsah, Tourneur, Ausstellungsansicht Mess with Your Values, 2018, Neuer Berliner Kunstverein, 2018 © Neuer Berliner Kunstverein / Jens Ziehe

Im ersten Stock, in der sich auch die Editionen und die Artothek des n.b.k. befinden, würde ich mir die neue Arbeit Walked The Way Home von Eric Baudelaire ansehen. Ein Video, das er in den beiden Hauptstädten Paris und Rom gedreht hat. Der Künstler zeigt in Slow-Motion die sicherheitspolitische Omnipräsenz und macht unter unterschiedlichen und verborgenen Blickwinkeln das Zusammenleben zwischen Armeesoldaten, anonymen Passanten, Kameras und öffentlichem Raum sichtbar, das nicht immer gebilligt wird.

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Eric Baudelaire, Walked The Way Home, 2017, Ausstellungsansicht Neuer Berliner Kunstverein, 2018 © Neuer Berliner Kunstverein / Jens Ziehe

Um dem Gewirr der unzähligen Freitagseröffnungen am 27. April zu entgehen, würde ich mich auf die Eröffnung in der ACUD MACHT NEU-Galerie konzentrieren, deren diesjährige Programmierung dem Kuratorinnen-Kollektiv Karma Ltd. Extended obliegt. Zusammengestellt von Pauline Doutreluingne, Jana J. Haeckel und Petra Poelzl bietet das dritte Kapitel Variations on Time des siebenteiligen Projekts bis jetzt noch zu wenig gezeigten Akteur*innen (endlich) eine Sichtbarkeit. Weit weg von Geschlechterstereotypen und einer westlich zentrierten Sichtweise stellt Karma Ltd. Extended ein qualitativ hochwertiges politisches, feministisches und experimentelles Projekt in den Vordergrund und lädt anlässlich des Gallery Weekend die beiden Künstlerinnen Susanne M. Winterling und Kapwani Kiwanga ein. Letztere, die kürzlich den Frieze Artist Award erhielt, zeigt eine von ihrer Serie Subduction Studies (2015-2017) inspirierte Arbeit, in der der Raum zwischen dem europäischen und dem afrikanischen Kontinent als „Superkontinent“ vorgestellt wird, Gebiet der Spekulation aber auch der kommenden geopolitischen Migration.

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Kapwani Kiwanga, Subduction study #8, 2017, Courtesy Galerie Tanja Wagner

Noch immer in Mitte, nur ein paar Schritte in der Auguststraße entfernt, zeigt die KW Institute for Contemporary Art ihr neues Programm unter dem Titel Pause, das mit dem hybriden und kollaborativen Projekt von AA Bronson startet. Neben diesem fünftägigen performativen Veranstaltungsformat wird der amerikanische Künstler auch in einer von Frédéric Bonnet kuratierten Ausstellung neben der Pioniergruppe der Konzeptkunst General Idea in der Esther Schipper zu sehen sein.

Nun sind wir im Kiez Potsdamer Straße und zahlreich sind die Galerien und Projekträume, die sich in den letzten Jahren hier angesiedelt haben. In diesem Sinne schlage ich vor, dort ein wenig herumzuspazieren und die Galerie Supportico Lopez und ihr The Performance Agency-Programm zu besuchen, eine von der Galerie und der bunten Editions- und Objektesammlung Archivio Conz organisierten Ausstellungsreihe. Außerdem empfehle ich, die neuesten Produktionen von Oliver Laric bei Tanya Leighton und auch nicht zu vergessen, die vielschichtige und merkwürdig mythisch anmutende Arbeit von Danny McDonald bei Isabella Bortolozzi.

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A Matter of Printing, Ausstellungsansicht, Supportico Lopez, Courtesy Archivio Conz und Supportico Lopez, Berlin

Um zum Schluss nochmals auf die französische Szene zurückzukommen, empfehle ich Loris Gréauds Ausstellung LADI ROGEURS: SIR LOUDRAGE – a still life in der Max Hetzler Galerie in Charlottenburg. Für seine erste Einzelausstellung in der Berliner Galerie realisierte der Künstler ein Ensemble an immersiven und raum-zeitlichen Werken, die sich in seine Recherchen rund um den Begriff des Projekts und seiner szenischen wie kinematografischen Repräsentation einfügt. Die Arbeit ist der letzte Teil einer Trilogie, die mit Cellar Door im Palais de Tokyo 2008 und The Unplayed Notes bei der 57. Biennale in Venedig, kuratiert von Nicolas Bourriaud, begonnen hat.

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Loris Gréaud, LADI ROGEURS: SIR LOUDRAGE – a still life, Galerie Max Hetzler, Berlin, 2018

Judith Lavagna

Judith Lavagna ist freie Kuratorin und Lehrerin. Ihre Recherchen setzen sich mit kollaborativen und performativen künstlerischen Praktiken auseinander. Seit 2010 lebt und arbeitet sie in Berlin.