Les Vitrines ist ein Ausstellungsraum für die französische Kunstszene, der vom Bureau des arts plastiques des Institut français d’Allemagne und des Institut français de Berlin initiiert wurde. Für diese neue Ausstellungsreihe mit dem Titel L’horizon des événements wurde die künstlerische Leitung der Kuratorin Fanny Testas und die visuelle Identität dem Kollektiv Bye Bye Binary (Eugénie Bidaut, Roxanne Maillet und Léna Salabert) anvertraut. Drei französische Künstlerinnen, Vava Dudu, Lola Barrett und Fanny Taillandier, wurden eingeladen, das ganze Jahr über drei Ausstellungen zu gestalten, die neue sciences-fiction Erzählungen und Vorstellungswelten heraufbeschwören und sich als Zeitkapseln oder Wurmlöcher ausgeben.
Wenngleich die Räume der Freizügigkeit rund um die Welt zunehmen, gehen sie paradoxerweise mit immer schwieriger zu überwindenden Grenzen einher: Mauern, Stacheldrahtzäune, Seeüberwachung … So wird auf Freihandel mit Militarisierung und auf wachsende Mobilität mit der inflationären Schaffung von Sondergerichten reagiert, die den Wanderbewegungen der Menschen im Weg stehen. Auf die von Natur aus unpersönliche Sprache des Rechts und dessen Restriktionen antworten die kollektiven Gesänge der Migrationsströme, die seit der Entstehung der Schrift im Epos ihren Ausdruck finden.
Welcher Dialog ist möglich zwischen den Rechtsnormen, die überall auf der Welt im Namen von Prinzipien mit variabler Geometrie den Weg frei machen oder versperren, und unserem individuellen und kollektiven Bewusstsein, getrieben von dem Wunsch und dem Bedürfnis, die Welt zu durchstreifen? Indem sie einen Dialog zwischen zwei Maschinen in Gang setzt, die ihrem Wesen nach unfähig sind, einander zu verstehen, führt die Ausstellung ICH HABE DIE MAUER NACH MEINEM WEG GEFRAGT (sie sagte mir, ich solle geradeaus gehen) die unmöglichen Absprachen zwischen Sprachregimen vor Augen, deren Legitimität nicht am selben Ort entsteht und die doch, durch ihre jeweiligen Kräfte, die Welt formen, in der wir leben. Angesichts der Tatsache, dass die Schwelle von weltweit 100 Millionen emigrierten Personen im Jahr 2022 überschritten wurde, stellt das Konzept, Grenzen als Raum für vielschichtige Dialoge und für die Konfrontation zwischen verschiedenen Vorstellungswelten zu begreifen, eine Möglichkeit dar, der Zukunft das Wort zu erteilen.
Die Werke von Fanny Taillandier werden von einer Auswahl an Fotografien von Samuel Gratacap ergänzt, die aus dessen 2023 veröffentlichtem Werk Bilateral stammen.
Die visuelle Identität des Vitrines 2023 wurde von Fanny Testas dem französisch-belgischen Kollektiv Bye Bye Binary anvertraut, das gleichzeitig ein pädagogisches Experiment, eine Gemeinschaft, ein Atelier für variable typo-graphische Kreation, ein Netzwerk und ein Bündnis ist. BBB erforscht die Schaffung von grafischen und typografischen Formen, die sich an die inklusive Schrift anpassen lassen.
Die Vernissage fand am Donnerstag, den 12. Oktober 2023 ab 19 Uhr mit einer Performance von Fanny Taillandier und Noé Balthazard statt.